Demonstrationen in Chemnitz: Wo ist die Kanzlerin?
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Rund 30.000 Leute haben im Internet angekündigt, am heutigen Montag zum Konzert #Wirsindmehr gegen rechts nach Chemnitz zu fahren. Am Wochenende haben viele Bürgerinnen und Bürger gegen Rechtsradikale und AfD demonstriert, die in den Straßen von Chemnitz natürlich auch wieder unterwegs waren. Wie an dem Wochenende zuvor versuchen radikale Rechte aus der ganzen Republik – Neonazis, Hooligans, Pegida und die AfD in großer Eintracht mit diesen – die Tötung eines Deutschkubaners für ihre politischen Zwecke zu missbrauchen. Von „Jagdszenen“ auf nichtdeutsch aussehende Menschen berichteten die Medien in der vorigen Woche. Würde der junge Mann noch leben, wäre er ein Feindbild für all jene, die sich des Toten nun bedienen. Freunde und Familie des Opfers sagen, das scheinheilige Opfergehabe von rechts hätte er sicher nicht gewollt.
Chemnitz ist in Aufruhr, Deutschland massiv irritiert
Die gewalttätigen Ausschreitungen vor Ort verunsichern die Menschen genauso wie die Tat selbst, die strafrechtlich aufgearbeitet werden muss und wird. Journalisten werden angegriffen. Auch eine Gruppe von Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen aus Marburg wurden von dem rechten Mob bedroht. Chemnitz ist in Aufruhr, Deutschland massiv irritiert. Die Polizei war lange überfordert und den aggressiven Auseinandersetzungen nicht gewachsen. Schlechte Erinnerungen werden bei solchen Bildern wach.
Bürgerinnen und Bürger stellen sich den Rechten entgegen, sie verteidigen die Demokratie – Tausende. Aber wo ist die Kanzlerin, wo der Bundesinnenminister? Die Kanzlerin vor Ort als Zeichen eines handlungsfähigen Staates, als Zeichen dafür, dass die Regierung und der Staat die Menschen nicht alleine lassen. Nicht jene, die nach der Ermordung des jungen Mannes Angst haben, und nicht jene, die sich den rechten Brandstiftern und dem braunen Mob entgegenstellen. Das ist es, was fehlt.
Franziska Giffey hat es vorgemacht
Und wo ist der Bundesinnenminister, der im Sommer im unionsinternen Asylstreit an keinem Mikro vorbeilaufen konnte, ohne hinein zu tönen. Die Sicherheitskräfte, deren oberster Dienstherr er ist, waren am vorletzten Wochenende völlig überfordert, als der Mob die Straßen in Chemnitz eroberte. Wäre da nicht mal eine Entschuldigung angemessen? All jenen gegenüber, die sich von diesem Staat nicht geschützt fühlen.
Erst recht nach den vollmundigen Sprüchen von Seehofer im Asylstreit der Union. Ein Bundesinnenminister, der sein Amt versteht und es ernst nimmt, wäre längst in Chemnitz gewesen, statt im bayerischen Wahlkampf nach der Pfeife der AfD zu tanzen und die Eskalation in der ostdeutschen Stadt viel zu spät mit ein paar dünnen Sätzen von Berlin aus zu kommentieren.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die bisher als einziges Regierungsmitglied in Chemnitz war, hat es vorgemacht. Und SPD-Vize Manuela Schwesig und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil haben an diesem Wochenende in Chemnitz ebenfalls Gesicht gezeigt. Sie standen an der Seite derer, die sich den rechten Demokratiefeinden entgegenstellen. Auf die Kanzlerin und ihren Innenminister warten sie vergebens.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.