Meinung

Corona-Krise: Wir brauchen jetzt eine nationale Kraftanstrengung für die Kultur

Wenn der Einzelhandel öffnen kann, dann können das auch Museen und Galerien. Wir müssen jetzt darüber sprechen, wie kulturelles Leben unter den Bedigungen von Corona stattfinden kann.
von Carsten Brosda · 30. April 2020
Ees geht um sinnvolle Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Carsten Brosda will den Kulturbereich in der Coronakrise stärker unterstützen.
Ees geht um sinnvolle Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Carsten Brosda will den Kulturbereich in der Coronakrise stärker unterstützen.

Kultur ist systemrelevant. Diesen Satz liest man derzeit oft – und fragt sich, was damit gemeint sein soll. Das klingt nämlich nicht nur zu technisch, das ist es auch. Systemrelevant sind vielleicht die Banken. Sie sind Schräubchen, ohne die das Getriebe einer Volkswirtschaft nicht mehr funktioniert. Kultur aber ist so viel mehr. Ohne sie ist alles andere in unserer offenen und demokratischen Gesellschaft nichts. Kultur ist der innere Kern. Gerät er unter Druck und wird instabil, droht eine Implosion.

In der Coronakrise brauchen wir die Kultur besonders

Kulturangebote dienen nicht bloß der individuellen Zerstreuung und ästhetischen Erbauung. Sie ermöglichen uns, die Grundlagen unseres Seins und unserer Gesellschaft zu behandeln. Sie geben Sinn und Perspektive, spekulieren über Szenarien, erweitern Horizonte und erspüren Alternativen. Genau das brauchen wir angesichts der Coronakrise!

Es war bemerkenswert, dass Kunst und Kultur gleich zu Beginn in den Paketen zur wirtschaftlichen Soforthilfe und zum sozialen Schutz mitgedacht wurden. Aber wir müssen endlich anfangen, Kultur in all ihrer besonderen Eigen- und Widerständigkeit in den Blick zu nehmen. Gerade weil sie vermutlich noch um einiges länger von Einschränkungen betroffen sein wird, darf sie nicht nur ein Nebenwiderspruch im Geflecht wirtschaftlicher und sozialer Hilfen sein.

Mindestens eine Milliarde Euro für die Kultur

Das gilt auch für die staatlichen Hilfsangebote. Wenn man die Dimension des ersten Hamburger Kulturpakets von 25 Millionen Euro nach den üblichen Maßstäben auf das Land hochrechnet, braucht es bundesweit mindestens eine Milliarde Euro für die Kultur! Das ist keine Kleinigkeit. Aber es geht um sinnvolle Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Dazu braucht es eine nationale Kraftanstrengung für die Kultur. Ganz konkret!

Wir müssen kulturellen Einrichtungen und Veranstaltern helfen. In diesen Tagen brechen viele, oft ohnehin prekäre Finanzierungsmodelle in sich zusammen. Hier braucht es mehr staatliche Unterstützung. Das gilt für die eigenen Häuser und Festivals, aber erst recht für die vielen überwiegend privat getragenen Angebote. Hier wäre ein bundesweiter Notfallfonds sinnvoll, mit dem die Anstrengungen von Kommunen und Ländern unterstützt werden, die bereits geförderten Einrichtungen sicher durch diese Krise zu bringen. Es ist wichtig, dass Förderzusagen bestehen bleiben und dass Ausfallhonorare gezahlt werden können. Nicht jede Kommune in einer Haushaltsnotlage kann das aktuell gewährleisten.

Auch die Debatte über die Möglichkeiten eines kulturellen Lebens unter den Bedingungen von Corona ist überfällig. Wenn der Einzelhandel öffnen kann, dann können das auch Museen und Galerien. Es wäre ein wichtiges Signal für das ganze Land, wenn sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten auf ihre Öffnung verständigten. Die Konzepte liegen vor. Sie sollten umgesetzt werden.

Jetzt Möglichkeiten kreativer Arbeit eröffnen

Je länger die Einschnitte im Kulturbereich anhalten, umso mehr geht es darum, die Produktion von Kunst und die Entwicklung neuer Formate zu fördern. Wenn Abstandsregeln und Hygienevorschriften uns noch eine Zeit lang begleiten werden, dann müssen die Förderprogramme darauf reagieren. Viele tun das schon. Es ist gut, wenn der Bund dabei hilft. Seine großen Förderfonds und Initiativen wie die Kulturstiftung des Bundes, der Fonds Darstellende Künste, die Initiative Musik, der Fonds Soziokultur oder die Filmförderanstalt haben bereits erste Ansätze entwickelt. Es ist wichtig, sie jetzt mit klarem politischem Willen auch finanziell in eine Dimension zu bringen, mit der im großen Stil kulturelle Angebote für die „neue Normalität“ gefördert werden können.

Nachdem die Soforthilfen die erste Not gelindert haben, geht es jetzt darum, Möglichkeiten kreativer Arbeit zu eröffnen. Wenn die Theater und Bühnen noch geschlossen bleiben müssen, dann brauchen wir künstlerische Pfadfinder, die sich auf die Suche nach klugen und umsetzbaren Alternativen begeben, die neue Angebote vorbereiten und veränderte Formate testen. Wenn wir kulturpolitisch Projekte und Arbeiten fördern, die hier neue Wege aufzeigen, helfen wir nicht nur Künstlerinnen und Kreativen ganz konkret, wir bereichern auch unsere Gesellschaft um Perspektiven und Anlässe für eine schon länger notwendige Debatte.

Die Sicherung bestehender Strukturen, die Förderung von Kulturproduktion und Innovation, ein klares Bekenntnis zur gesellschaftlichen Bedeutung der Kultur – das sind die Erwartungen, die zu Recht an die Kulturpolitik in unserem Land gestellt werden. Ihnen auch in Zeiten von Corona gerecht zu werden, ist nicht nur politisch zweckmäßig, es ist kulturell sinnvoll.

Autor*in
Carsten Brosda

ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Sein jüngstes Buch „Die Kunst der Demokratie“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

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