Corona-Impfung: Das hätte Gesundheitsminister Spahn besser machen können
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Zugegeben ist es nicht einfach, sich in unbekannten Gewässern schnell und gut zurechtzufinden. Die Corona-Pandemie ist ohne Vorbild für Deutschland und die EU. Insofern ist es geradezu unvermeidlich, dass Fehler begangen werden. Aber ein paar rechtzeitige und doch gründliche Überlegungen hätten vielleicht schon geholfen. Reden wir über das Impfen gegen das Corona-Virus.
Wo Kritiker*innen Recht haben
Angesichts der Tatsache, dass es hier, solange es sich um ältere Menschen über 80 handelt, um eine Frage von Leben und Tod geht, hätte man erwarten können, dass der Impfprozess mit größter Sorgfalt und Intelligenz geplant werden würde. Chaos, Desaster, Totalversagen waren dann aber die Vokabeln, mit denen in den vergangenen Tagen vielfach der Start des Impfprozesses gegen das Corona-Virus beschrieben wurde. Der Kernvorwurf lautet, dass zu wenig Impfstoff für den Beginn der Impfung bestellt worden sei. Auch wenn viele der Beschimpfungen zumindest in der verbalen Form übertrieben waren, in einem haben die Kritiker*innen Recht. Am Geld hätte schnelleres Impfen nicht scheitern dürfen, denn die Mehrkosten für den Impfstoff wären schon durch minimale Verkürzung des Lockdown eingespart worden.
Engpass Produktionskapazitäten
Dies beantwortet jedoch noch nicht die Frage, ob die Mehrausgaben nicht an anderer Stelle noch gewinnbringender einsetzbar gewesen wären. Dafür spricht Vieles. Die Nachfrage nach Impfstoffen seitens der EU-Kommission ist zwar hoch genug, um die gesamte Bevölkerung der EU zu impfen. Der Engpassfaktor ist jedoch die rechtzeitige Ausweitung der Produktionskapazitäten, in die man mehr Geld hätte investieren müssen. Das zeigt sich gerade jetzt, wo Pfizer und BionTech ihre Impfstofflieferungen aufgrund der Ausweitung von Produktionskapazitäten verzögern müssen.
Das Gegenargument, dass eine hohe Nachfrage nach Impfstoffen, zu der sich die Regierungen frühzeitig verpflichtet hätten, auch zu höheren Produktionskapazitäten geführt hätten, überzeugt nicht. Denn es gibt für Unternehmen keinen Anreiz, schnell hohe Kapazitäten aufzubauen, wenn die Abnahme bereits garantiert ist.
Warten steigert Gewinn
Hier liegt das eigentliche Problem im derzeitigen Impfprozess. Es ist logisch, dass die Impfstoffanbieter trotz aller Nachfrage erst nach der Zulassung ihres Impfstoffs massiv in eine Ausweitung ihrer Kapazitäten investieren, ansonsten würden sie die Kosten der Ausweitung ohne entsprechende Erlöse zu tragen haben.
Selbst wenn ihnen diese durch die Nachfrage garantiert ist, können sie ihren Gewinn steigern, wenn sie bis zur Zulassung mit den Investitionen warten. Im Fall eines Misserfolgs vermeiden sie schließlich deren Kosten. Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Impfstoff anfänglich sehr hoch ist, mit fortschreitendem Impfschutz in der Bevölkerung und der wahrscheinlich zunehmenden Zahl von Anbietern zumindest für das einzelne Unternehmen aber abnehmen dürfte. Dann entstehen Überkapazitäten. Warum also sollte ein Unternehmen solche Risiken vorab eingehen? Dies erklärt denn auch, warum Impfstoff am Anfang knapp ist.
Das hätte man besser machen können
Das wussten alle, auch der Bundesgesundheitsminister. Vorzuwerfen ist ihm und den anderen zuständigen Minister*innen in der EU, dass sie nichts gegen diese absehbare Knappheit unternommen und der EU-Kommission entsprechende Anweisungen beim Ankauf gegeben haben.
Dabei wäre es eine Möglichkeit gewesen, allen in Frage kommenden Anbietern im Frühjahr eine Garantie für die Übernahme eines Großteils der Investitionskosten für die Produktionsausweitung zu geben, vorausgesetzt die Kapazitäten stehen binnen eines halben oder dreiviertel Jahres zur Verfügung. Diese Garantie hätte unabhängig von einer erfolgreichen Zulassung gegeben werden müssen. In diesem Fall wäre man sicher gewesen, dass zum Zeitpunkt der Zulassung höhere Kapazitäten gleich zu Anfang produktionsbereit gewesen wären. Tatsächlich hat sich das Bundesgesundheitsministerium sogar an den Investitionskosten für den Aufbau von Produktionskapazitäten beteiligt, allerdings ohne gleichzeitig Lieferverpflichtungen zu vereinbaren. Das hätte man besser machen können – auch in unbekannten Gewässern.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.