Meinung

Corona-Impfpflicht durchgefallen: Trauerspiel im Bundestag

Eine Impfpflicht gegen das Coronavirus ist durchgefallen, eine vorausschauende Pandemie-Politik damit gescheitert. Für den nächsten Herbst bleibt jetzt nur noch das Prinzip Hoffnung. Der Bundestag ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.
von Benedikt Dittrich · 7. April 2022
Die Impfung ist immernoch der Weg aus der Pandemie.
Die Impfung ist immernoch der Weg aus der Pandemie.

Viele Wochen und Monate wurde über das Für und Wider einer Impfpflicht gestritten – im Grunde schon, seitdem im Herbst eine für den Gesundheitssektor beschlossen wurde. Am Ende wurde im Parlament über die ganze Bandbreite gestritten und verhandelt. Von einer Impfpflicht für alle ab 18, ab 60, über Beratungspflichten bis hin zur kompletten Ablehnung. Am Ende wurde nichts davon beschlossen, allen voran weil sich die größte Oppositions-Fraktion, die Union, jedem Kompromiss verwehrte, ihren Abgeordneten nicht mal eine freie Entscheidung billigte.

Doch auch der Streit auf den Nebenschauplätzen wie Impfregister und Beratungspflicht darf am Ende nicht darüber hinwegtäuschen: Viele Bundestagsabgeordnete haben heute gegen eine präventive Pandemiepolitik gestimmt. Sei es aus dem Kalkül, damit der Ampel-Koalition schaden zu wollen, sei es aus einem egoistischen Verständnis von Freiheit und Eigenverantwortung heraus. Am Ende verliert aber das gesamte Parlament.

Wer zu spät entscheidet, den bestraft das Virus

In den vergangenen zwei Jahren Pandemie gab es in der Bevölkerung immer wieder Unmut darüber, dass Maßnahmen abgeschwächt oder zu spät beschlossen wurden. Immer wieder musste das Personal in den Krankenhäusern es ausbaden, dass Maßnahmen, die epidemiologisch für sinnvoll erachtet wurden, an fadenscheinigen Argumenten, Bauchgefühlen oder taktischen Spielchen scheiterten. Wie wochenlang über Wellen-, Brücken- oder Lockdown „light“ gestritten wurde, bis am Ende die Politik gar nicht anders konnte als wieder voll auf die Bremse zu treten. Immer wieder zeigte der exponentielle Anstieg der Infektionen, wie schnell dieses Virus die Gesellschaft wieder im Griff hatte, wenn auch nur wenige Tage zu spät gehandelt wurde.

Die Impfstoffe sind immer noch der Weg aus diesem Teufelskreis aus steigenden Infektionszahlen, neuen Mutationen und Einschränkungen. Dass es zu viele Menschen gibt, die aufgrund von Angst, Verunsicherung bis hin zur Hetze, Ignoranz oder schlicht Unwissen diesen Weg nicht eingeschlagen haben, ist traurig. Gerade in der gefährdeten Altersgruppe ab 60 Jahren gibt es weiterhin mehr als zwei Millionen ungeimpfte Menschen. Menschen, die ihr Risiko hoch halten, andere zu infizieren, selber schwer zu erkranken oder gar zu sterben.

Ja, es wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht. Meinungen wurden revidiert, Entscheidungen schlecht kommuniziert. Nicht jede Verordnung in den vergangenen zwei Jahren war rückblickend richtig oder verhältnismäßig. Es ist auch schlimm, dass weiterhin so viele Menschen weder mit Argumenten noch Fakten von der Impfung überzeugt werden können. Aber die Politik, nicht nur die Regierung, ist verpflichtet, mit dieser Situation umzugehen. Schaden vom Volk abzuwenden. Alle, die am heutigen Tage im Parlament gegen diese Impfpflicht gestimmt haben, müssen sich fragen, ob sie damit dieser übergeordneten Verantwortung wirklich gerecht geworden sind. Oder ob sie über die Debatte, den Streit, die politischen Machtspiele hinweg dieses Ziel aus den Augen verloren haben.

Denn es war immer das langfristige Ziel, den Immunschutz in der Bevölkerung so zu erhöhen, dass wir als Gesellschaft den nächsten Corona-Herbst vielleicht nicht mehr fürchten müssen. Dieses Ziel ist auf der Basis von Freiwilligkeit nicht erreicht worden. Auch jetzt sterben noch täglich rund 300 Menschen in Verbindung mit einer Corona-Infektion.

Mit Prinzip „Hoffnung" in den nächsten Corona-Herbst

Die Abgeordneten im Bundestag hatten am Donnerstag die Chance, diese Situation für die Zukunft zu entschärfen. Doch viele Abgeordnete haben offensichtlich die unbequeme Entscheidung gescheut und setzen stattdessen wieder auf das Prinzip Hoffnung: Hoffnung, dass der Herbst nicht so schlimm wird. Hoffnung, dass es keine gefährlichere Mutation des Coronavirus gibt. Hoffnung, dass Millionen Ungeimpfte in Deutschland ihre Meinung doch noch ändern.

Wenn aber doch eine gefährlichere Mutation auftaucht, sich die Krankenhäuser doch wieder füllen und der Herbst doch schlimm wird? Dann kommt eine Impfpflicht garantiert zu spät. Denn die hätte jetzt beschlossen werden müssen, um im Herbst zu wirken.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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