Meinung

Corona-Herbst: Es geht um Vernunft, nicht um Verbote

Beherbergungsverbot, Sperrstunde, Kontaktbeschränkungen – inwischen ist der Corona-„Flickenteppich“ in Deutschland perfekt. Das nervt. Der Föderalismus ist aber nicht die Achillesverse im Kampf gegen das Virus.
von Benedikt Dittrich · 15. Oktober 2020
Der Kampf gegen die Corona-Pandemie ist vor allem eine Frage der Solidarität und Verantwortung untereinander.
Der Kampf gegen die Corona-Pandemie ist vor allem eine Frage der Solidarität und Verantwortung untereinander.

Wer darf noch mit wem feiern, wo dürfen Berliner*innen noch Urlaub machen, wird das Hotel in den Alpen jetzt zur Quarantäne-Station? In den vergangenen Tagen wurde es richtig unübersichtlich, was die Corona-Regeln in Deutschland angeht. Auch die Konferenz der Ministerpräsident*innen mit der Bundeskanzlerin am Mittwoch konnte den Wildwuchs der Verbote, Empfehlungen und Anweisungen nicht wirklich eindämmen. Die Lage bleibt unübersichtlich.

Das ist ärgerlich, aber es ist nicht das eigentliche Problem. Denn wir wissen alle, worauf es ankommt, um das Virus einzudämmen: Menschenmassen meiden, Abstand halten, Maske tragen, Kontakte reduzieren. Von diesen simplen Punkten leiten sich alle Corona-Regeln ab, egal ob wir mit 20 oder 50 Menschen feiern, in Hotels übernachten oder unsere Freunde in Bayern oder Berlin besuchen. Dass Umarmungen und Hände schütteln die Weitergabe von Viren fördern, wissen wir sogar schon viel länger. Wir hören es jedes Jahr im Herbst, wenn die Grippewelle heranrollt.

Regeln ändern sich, die Verantwortung bleibt

Einheitliche Regeln können helfen, diese Dinge zu beherzigen, aber sie entbinden uns nicht von unserer Verantwortung, sie einzuhalten. Feiere ich meinen Geburtstag nur im kleinsten Kreis oder muss ich unbedingt 50 Leute zu mir nach Hause einladen? Muss ich meinen Freund*innen zur Begrüßung um den Hals fallen? Sollte ich unbedingt quer durch Deutschland fahren, um Urlaub in den Bergen oder am Meer machen zu können? Fahrrad oder Auto statt Bus oder Bahn, lieber Videokonferenz statt einem Treffen vor Ort? Das sind die Risiken, die wir abwägen müssen, die Entscheidungen, die wir treffen müssen. Diese Entscheidung auf Politik, Verwaltung oder Polizei abzuwälzen, ist wohlfeil. Außerdem berauben wir uns so unserem höchsten Gut: unserer eigenen Freiheit.

Das klingt paradox, aber das ist es nicht. Natürlich sind Sperrstunden und Reiseverbote Eingriffe in unsere Grundrechte, in unsere individuelle Freiheit. Doch sie dienen besonders in dieser Krise der Freiheit aller: Wenn wir alle ein paar Einschränkungen hinnehmen, können wir andere Freiheiten für uns alle erhalten. Wenn wir Abstand halten, können wir weiterhin Familie und Freunde besuchen, in kleinem Rahmen Hochzeiten und Geburtstage feiern. Wenn wir mit einem Stofffetzen vor Mund und Nase in den Supermarkt gehen, können wir auch weiterhin im Restaurant nebenan essen gehen. Wenn wir die Corona-App nutzen und korrekte Kontaktdaten hinterlassen, senken wir das Risiko, dass sich das Virus unkontrolliert weiterverbreiten kann. „Jeder soll sich wieder bewusst machen, dass er auch Eigenverantwortung hat und diese jetzt wahrnehmen muss", appellierte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller am Mittwochabend deswegen eindringlich. „Das wirksamste Mittel gegen Corona ist und bleiben Vorsicht, Verantwortungsbewusstsein und Solidarität jedes und jeder Einzelnen“, erklären die beiden SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in einem gemeinsamen Statement am Donnerstag.

Es ist eine Frage der Solidarität

Nehmen wir diese Appelle nicht ernst, gefährden wir am Ende alle um uns herum. Ja, wir nehmen dann sogar billigend in Kauf, dass ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sich infizieren, an Covid-19 erkranken und sterben. Aber wir nehmen auch in Kauf, dass Schulen und Kitas wieder schließen müssen, dass noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren oder wieder in Kurzarbeit gezwungen werden. Am Ende ist es eine Frage der Solidarität gegenüber unseren Mitmenschen, ob wir auf die Corona-Regeln pfeifen oder sie aus eigenem Antrieb einhalten. Egal, wie die Regeln gerade im Detail aussehen.

Übrigens haben wir als Gesellschaft schon bewiesen, dass das möglich ist: Schon vor den harten Einschränkungen Ende März nahm beispielsweise die Mobilität der Menschen ab. Es ist anhand der Verbindungs- und Bewegungsdaten der Kommunikationsanbieter*innen deutlich zu sehen, dass Menschen schon vorher ihren Bewegungsradius deutlich einschränkten.

Wir sind also in der Lage, auch ohne Verbote unser Verhalten zu ändern. Die Politik kann das zwar mit klaren, verständlichen Regeln und Strafen bei Verstößen beeinflussen und unterstützen. Am Ende ist es aber wie zu Beginn der Pandemie: Es geht darum, dass jede und jeder vernünftig und verantwortungsvoll handelt.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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