CDU-Wahlprogramm: Zwischen „Voodoo-Ökonomie“ und Reichtumspflege
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In der Finanzmarktkrise 2008 und in der Corona-Pandemie konnte nur ein aktiver Staat mit Konjunkturpaketen und Hilfsprogrammen den Kollaps unserer Wirtschaft verhindern. Wer nach diesen schmerzhaften Erfahrungen weiterhin mehr Markt und weniger Staat predigt, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Armin Laschet und Markus Söder wollen die Wirtschaft entfesseln. Dafür sollen Steuern gesenkt und Bürokratie abgebaut werden. Die Unionsparteien versprechen in ihrem Wahlprogramm 50 Milliarden Euro schwere Steuersenkungen. Die größten Steuergeschenke gibt es für Spitzenverdiener*innen und Unternehmen. So soll der Unternehmenssteuersatz auf 25 Prozent gesenkt werden. Der Steuerexperte des Deutschein Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Stefan Bach, rechnet mit jährlichen Steuerausfällen von etwa 17 Milliarden Euro. Der Großteil dieser Steuerersparnis – nämlich 12 Milliarden Euro – geht an das reichste ein Prozent. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für Reiche kostet weitere 10 Milliarden Euro, wovon sechs Milliarden Euro in die Kassen des reichsten ein Prozent fließen. Die geplanten Entlastungen bei der Einkommenssteuer – höhere Schwelle für den Spitzensteuersatz – verursachen nach DIW-Berechnungen weitere Einnahmeverluste in Höhe von 21 Milliarden Euro. Mehr als 13 Milliarden davon erhält das reichste Zehntel.
Neuer Anlauf für „Voodoo-Ökonomie“
Wenn Unternehmer und Topverdiener*innen mehr netto vom brutto bekommen, investieren und arbeiten sie angeblich mehr. Das dadurch erzeugte Wachstum schafft dann neue Jobs und lässt die Steuerquellen sprudeln. Nach neoliberaler Lesart finanzieren sich auf diesem Weg die Steuersenkungen selbst. Diese Voodoo-Ökonomie hat in der Praxis noch nie funktioniert.
In den 1980er Jahren senkte Ronald Reagan den Spitzensteuersatz auf Einkommen von 70 auf 38,5 Prozent. Gleichzeitig wurde die Steuerlast der Unternehmen reduziert. Reagans Steuersenkungen führten aber nicht zu höheren Investitionen. Auch die Arbeitslosigkeit ging nicht nennenswert zurück. Das Einzige, was unter der republikanischen Präsidentschaft wuchs, waren Staatsverschuldung und Ungleichheit. Die öffentlichen US-Schulden verdreifachten sich in den 1980er Jahren auf 2740 Milliarden US$ und die Schuldenquote – Anteil der Staatsschulden am BIP – stieg von 30 auf 50 Prozent.
Zwei Jahrzehnte später vollbrachte die Schröder-Regierung die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik. Finanzminister Hans Eichel stutzte den Spitzensteuersatz auf Einkommen von 53 auf 42 Prozent und den Körperschaftssteuersatz von 25 auf 15 Prozent. Auch diesmal sprang der Wachstumsmotor nicht an, die Investitionsquote sank sogar. Die Steuerausfälle gegenüber dem Steuerrecht von 1998 belaufen sich heute noch auf jährlich 45 Milliarden Euro.
Reichtumspflege statt Wirtschaftswachstum
Diese historischen Erfahrungen lehren uns, dass Steuersenkungen kein Wachstumsmittel sind. Firmen investieren nicht, wenn Steuersätze purzeln, sondern wenn ihre Güter und Dienstleistungen ausreichend nachgefragt werden. Folglich reißen Steuersenkungen nur Löcher in die öffentlichen Haushalte. Vor dem Hintergrund von Schuldenbremsen und schwarzer Null drohen dann Investitions- und Sozialkürzungen. So hungern Steuersenkungen den Sozialstaat aus.
Laschets und Söders beabsichtigte Steuergeschenke werden also zu Lasten zukünftiger Investitionen und Sozialausgaben gehen. Milliardenschwere Steuerausfälle sorgen dafür, dass für Klimaschutz, Bildung, Gesundheit, öffentlichen Verkehr und Kultur zukünftig kein Geld mehr da ist. Ein Jahrzehnt der Investitionen wird es mit dieser neoliberalen Steuerpolitik nicht geben. Die sozialen Sicherungssysteme kommen dabei ebenfalls unter die Räder. Eine gesetzliche Rente, die vor Armut schützt und den Lebensstandard sichert, ist mit einem kriselnden Steuerstaat nicht finanzierbar. Deswegen möchten die Unionsparteien auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge ausbauen.
Das konservative Entfesselungspaket für die Wirtschaft ist politische Reichtumspflege. Nach der Bundestagswahl wollen Christdemokrat*innen die Taschen der Superreichen mit Milliarden stopfen. Diese Umverteilung von Unten nach Oben bezahlen Millionen abhängig Beschäftigte und ihre Kinder.
Die kommende Bundestagswahl ist eine Richtungswahl, bei der über diese Verteilungsfrage abgestimmt wird.
ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission und Chefökonom bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.