Castellucci: „Die SPD wird zu häufig taktisch wahrgenommen“
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Anhand einer repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung begründen Richard Hilmer und Ernst Hillebrand auf vorwärts.de das gute Abschneiden der Sozialdemokraten bei den dänischen Parlamentswahlen mit der Bürgernähe der Partei. Damit meinen sie, dass Stimmungen und Erwartungen der Bevölkerung dort stärker mit den Positionen der Partei übereinstimmen, als das beispielsweise der SPD gelinge. Besonders in der Migrationspolitik sei die SPD weit von den Erwartungen der Bürger in Deutschland entfernt. Entsprechend fordern die Autoren eine „stärkere Zuwanderungskontrolle“.
Mit dieser Schlussfolgerung aus der Studie kann ich als migrationspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion nichts anfangen. Bezogen auf die Migrationspolitik erinnere ich an eine andere empirische Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: In „Pragmatisches Einwanderungsland. Was die Deutschen über Migration denken“ haben sich über die Hälfte der Befragten positiv zur Aufnahme von Geflüchteten geäußert, Zuwanderung wird von vielen als Chance gesehen. Ebenso wird befürwortet, dass Menschen in Deutschland bleiben sollen, wenn sie sich gut integrieren. Selbst dann, wenn sie eigentlich das Land verlassen müssten.
Kluge Politik statt Taktik
Genau diesen Ansatz hat die SPD zusammen mit Maßnahmen stärkerer Steuerung und Kontrolle in dem jüngst verabschiedeten Gesetzespaket zum Thema Migration auch aufgegriffen. Eine kluge Politik kann also den Anliegen der Bevölkerung sehr wohl gerecht werden, indem sie Humanität und Sicherheit verbindet, anstatt diese ständig gegeneinander zu stellen. Bei Hillenbrand und Hilmer, ebenso wie etwa bei Äußerungen des früheren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nach der Wahl in Dänemark bleibt dagegen völlig unklar, was die konkrete Empfehlung an die SPD ist.
Bürgernähe streben wir alle an. Entscheidend ist allerdings, wie diese Bürgernähe zustande kommt. Sollte man sich taktisch an den gegenwärtigen Stimmungen der Bevölkerung ausrichten? Ich finde, die SPD wird viel zu häufig als taktisch handelnd wahrgenommen.
Mit klarer Haltung überzeugen
Die SPD hatte aber immer dann Erfolg, wenn sie nicht danach geschielt hat, was den Leuten gerade gefallen könnte. Eine klare Haltung, deutliche Positionen und Menschen, die beides glaubwürdig vertreten können, das ist aus meiner Sicht notwendig. Es geht gewiss immer auch darum, zuzuhören und neue Entwicklungen aufzunehmen. Aber die die Entspannungspolitik von Willy Brandt wäre damals sicher unmöglich gewesen, wenn man sich einfach an der Meinung in der Bevölkerung orientiert hätte. Brandt und seine Genossen sind damals vielmehr für das, wovon sie überzeugt waren, eingetreten – und haben damit dann auch die Bevölkerung überzeugt.
Wir sollten auch in der Migrationspolitik sachlich und nüchtern herausstellen, was wir leisten und was noch fehlt und woran wir weiterarbeiten. Probleme können und sollen genauso angesprochen werden wie Erfolge. Aber vor allem brauchen die Menschen Orientierung, wo es hingehen soll. Dann überzeugen wir auch wieder.
Eines darf die Partei jedoch niemals tun: Die Probleme der Zeit auf dem Rücken irgendeiner bestimmten Gruppe abladen. Im Gegenteil: Im Gegensatz zu jeder anderen Partei steht die SPD für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die Idee, dass sich Menschen verbünden, um gemeinsam stark zu sein. Genau dafür werden wir gebraucht und genau dafür müssen wir viel stärker werben. Manchmal verliert man damit auch Wahlen. Aber wenn wir das aufgeben, verlieren wir uns.
Hier geht's zur kompletten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Das pragmatische Einwanderungsland"
Prof. Dr. Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.