Bürgerversicherung und Corona: Wie wir das Gesundheitssystem gerechter finanzieren
Janine Schmitz/photothek.net
Sehr spürbar haben wir in den letzten Monaten, im Kampf gegen die Pandemie, Verzicht lernen müssen. Gemeinsam haben wir das ausgehalten, und unsere Disziplin bei der Einhaltung von Beschränkungen hat die Lockerungen der vergangenen Wochen überhaupt erst möglich gemacht. Wir müssen weiter bestmöglich die Waage halten zwischen dem Gesundheitsschutz auf der einen und den Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Uns ist gemeinsam gelungen, die Ausweitung des Coronavirus zu bremsen, die Erkrankten gut zu versorgen und einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Und wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem ist, hat die Corona-Krise deutlich gezeigt.
Gesundheitsschutz und Freiheitsrechte
Basis des Erfolgs bleibt der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD): Engagierte Menschen in den Gesundheitsämtern sorgen mit der systematischen Testung, mit der Begleitung und Beratung von Infizierten oder deren Kontaktpersonen und mit der konsequenten Nachverfolgung von Infektionsketten dafür, die Zahl der Neuinfektionen zu bremsen. Ich war überwältigt von der hohen Anzahl Freiwilliger, die die rheinlandpfälzischen Gesundheitsämter in der Hochphase der Pandemie unterstützt haben.
Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Verantwortlichen in den Krankenhäusern haben schnell auf die Herausforderungen reagiert. In Rheinland-Pfalz setzt die Landesregierung gemeinsam mit den Krankenhäusern bei der stationären Versorgung COVID-19-Kranker auf Vernetzung und Kooperation: Die Kliniken stimmen sich in der Versorgung der Patienten ebenso ab wie bei der Qualifizierung des Personals und der Beschaffung von Material. Sie haben auf diese Weise ihre Intensiv- und Beatmungskapazitäten in kürzester Zeit erhöht und die Zahl der für die Intensivpflege zur Verfügung stehenden Personen um 2.000 aufgestockt. Das alles war nur möglich, weil alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen auch unter teilweise schwierigen Bedingungen im Einsatz waren.
Kein Schulgeld mehr für Azubis
Was lernen wir daraus? Zum einen, dass gesundheitliche Versorgung nur mit qualifizierten und engagierten Fachkräften funktioniert. In Rheinland-Pfalz führen wir seit Jahren Fachkräfteinitiativen durch, um vor allem die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen weiter zu verbessern. Wir werden ab dem Wintersemester 2020/21 Studienplätze für Bewerberinnen und Bewerber vorhalten, die sich zu einer späteren Tätigkeit im ÖGD verpflichten.
Auf Bundesebene muss das „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ die Gesundheitsfachberufe modernisieren und beispielsweise die Ausbildung schulgeldfrei stellen. Aber es reicht nicht, neue Kräfte zu gewinnen, wir müssen auch ihre Arbeit stärker unterstützen und wertschätzen und damit die Attraktivität der Gesundheitsfachberufe steigern. Die in der Pandemie durch Bund und Länder ergriffenen Maßnahmen wie z.B. die Zahlung von Prämien sind erste wichtige Schritte. Es darf aber kein Einmaleffekt bleiben. Wir brauchen langfristig bessere Bedingungen. Das ist Solidarität.
Finanzierungssystem Fallpauschalen weiterentwickeln
Wir sehen zum anderen auch, dass ein leistungsfähiges Gesundheitssystem angemessen und gerecht finanziert sein muss: „There is no glory in prevention“, hat es der Virologe Christian Drosten in der Hochphase der Pandemie formuliert. Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig das Vorhalten stationärer Kapazitäten ist, um kurzfristig auf erhöhte Bedarfe reagieren zu können. Die damit verbundenen Kosten müssen – über aktuelle Ausgleichszahlungen hinaus – künftig angemessen finanziert werden. Hier ist der Bund bei der Weiterentwicklung des Finanzierungssystems mit Fallpauschalen gefordert. Auch das ist Solidarität. Auf Antrag von Rheinland-Pfalz hat eine von der Gesundheitsministerkonferenz eingesetzte Länder-Arbeitsgruppe einen Vorschlag erarbeitet, der Grundlage für eine bundesrechtliche Neuregelung sein soll.
Die Corona-Krise unterstreicht die Stärken des deutschen Föderalismus: Infektionsgeschehen, Akteure und Versorgungssituationen sind regional und lokal unterschiedlich. Und so unterschiedlich aber individuell haben die Länder darauf reagiert. Auch das stieß nicht immer auf Verständnis. Aber bis heute war es ein erfolgreicher Weg.
Ja zur Bürgerversicherung
Die Pandemie hat uns unsere eigene Verwundbarkeit in allen Bereichen des täglichen Lebens gelehrt. Alle Maßnahmen, alle Pläne, alle Rettungsschirme nutzen dem Menschen und der Gesellschaft nichts, wenn sie nicht gesund sind. Gesundheit und Gesundheitspolitik rücken einmal mehr in den Fokus globaler Anstrengungen. So gewinnt auch unsere alte Forderung eine neue Aktualität, dass die Finanzierung unseres Gesundheitssystems gerechter und solidarischer gestaltet werden muss.
Die von der SPD seit langem geforderte Bürgerversicherung bleibt ein gutes Konzept dafür. Zumindest sollten versicherungsfremde Leistungen wie z. B. die zunächst aus dem Gesundheitsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten Corona-Tests ohne Symptome konsequent über Steuermittel finanziert werden. Das wäre bereits solidarischer, als sie allein den Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung zuzumuten.
Was bleibt? Krisen sind zu bewältigen, wenn man gut zusammenarbeitet, gemeinsam handelt, solidarisch denkt. Dass die Gesundheitseinrichtungen in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz die besonders betroffenen europäischen Freunde aus Frankreich und Italien vielfältig unterstützt haben, ist ein eindrucksvolles Beispiel und gelebte europäische Solidarität.
ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und kommissarische SPD-Parteivorsitzende.