Meinung

Bürgernah in allen Bereichen – der Erfolg der dänischen Sozialdemokraten

Bei praktisch allen politischen Themen sind die dänischen Sozialdemokraten näher an den Erwartungen der Bürger als die SPD in Deutschland. Mehr Bürgernähe ist aber nötig, wenn die SPD Volkspartei bleiben will. Die dänischen Sozialdemokraten können hier als Vorbild dienen.
von Ernst Hillebrand · 19. Juni 2019
SPD: Will die deutsche Sozialdemokratie Wahlen gewinnen, muss sie wieder die „hard-working-people“ erreichen, so eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die dänischen Sozialdemokraten haben die letzten Wahlen in ihrem Land mit 25,9 Prozent gewonnen. Gleichzeitig verloren die dänische Rechtspopulisten deutlich an Zuspruch. Kann die SPD von dem dänischen Beispiel etwas lernen?

Europaweite repräsentative Studie zeigt SPD-Defizite

Wir wollen uns bei der Beantwortung dieser Frage nicht wie viele Meinungsäußerungen der letzten Tage auf subjektive Problemwahrnehmungen und -interpretation stützen, sondern auf die Ergebnisse empirischer Meinungsforschung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung führte im Herbst vergangenen Jahres eine europaweite repräsentative Umfrage zur Wahrnehmung sozialdemokratischer Parteien durch die Wähler durch. Dabei wurde sowohl nach Werten, die den Menschen wichtig sind gefragt, wie nach den Erwartungen in verschiedenen Politikfeldern. Außerdem wurde abgefragt, in welchem Maß sich die Wähler, vor allem aber die sozial schwächeren Milieus von diesen Parteien (noch) vertreten fühlen.1

In praktisch allen Belangen zeigt sich, dass die dänischen Sozialdemokraten näher bei den Stimmungen und Erwartungen der Bevölkerung sind als die SPD, und zwar quer über alle Milieus. Keine andere Sozialdemokratie Europas weist eine solche Nähe zu den Bürgern auf, wie die unserer nördlichen Nachbarn. Während sich in Dänemark immerhin mehr als die Hälfte der Arbeiter sowie der einfachen und mittleren Angestellten von der Sozialdemokratie angemessen vertreten fühlen, ist dies in Deutschland nur bei jedem Vierten der Fall, bei den höheren Angestellten und Beamten sind es 43 Prozent. Von denjenigen, die sich selbst zur Unterschicht zählen, fühlen sich in Deutschland gerade einmal 10 Prozent von der Sozialdemokratie vertreten, in Dänemark 23 Prozent.

Dänische Sozialdemokraten: in der Mitte der Gesellschaft

Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Was haben die Socialdemokraterne, was die SPD nicht (mehr) hat? Entscheidend ist aus unserer Sicht, dass die dänische  Sozialdemokratie politisch fest in der Mitte der dänischen Gesellschaft verankert ist. Sie steht für die Werte, die den Dänen wichtig sind. Und sie vertritt politische Lösungen, die den Erwartungen der Bürger relativ nahe kommen.

Den Bürgern beider Staaten besonders wichtig sind die Werte „soziale Gerechtigkeit“, „Recht und Ordnung“ sowie „die Einhaltung von Regeln“. Die Dänen haben den Eindruck, dass diese Werte auch der Sozialdemokratie wichtig sind. Dagegen wird der SPD von weiten Teilen der Wählerschaft eine Ambivalenz, bisweilen sogar Distanz zu diesen Werten unterstellt, etwa bei der Frage nach der Verbindlichkeit gesellschaftlicher Spielregeln. Erhebliche Zweifel bestehen bei der deutschen Durchschnittsbevölkerung auch daran, dass der SPD Werte wie Leistungsbereitschaft  und -gerechtigkeit, Verantwortung für das eigene Leben, und die Schaffung gleicher Lebensbedingungen für Alle wichtig sind. In all diesen Fragen sehen die dänischen Wähler dagegen keine großen Unterschiede zwischen den eigenen Werten und denen der dänischen Sozialdemokraten.

Keine Probleme bei Wirtschaft und Sozialem

Vergleichsweise geringe Unterschiede gibt es dagegen bei wirtschafts- und sozialpolitischen Themen. Hier haben sowohl die dänischen Sozialdemokraten wie die SPD relativ geringe Verankerungs-Defizite. Dasselbe gilt  im Bereich  gesellschaftspolitischer Fragen rund um den Bereich Toleranz, gesellschaftliche Liberalität und Gleichberechtigung. Hier treffen die sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa die gesellschaftliche Stimmung recht genau.

Anders als oft unterstellt, liegen die Probleme der SPD also nicht so sehr im Bereich wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Fragen. Im Gegenteil: Dies ist das Politikfeld, in dem die Erwartungen der Bürger und das Politikangebot der SPD immer noch mit am stärksten übereinstimmen. Dies gilt mit Einschränkungen auch für die Sozialpolitik, dem Kernkompetenzbereich der SPD. In der Wohnungspolitik wird die SPD allerdings den Erwartungen nach einer aktiveren Rolle des Staates bei der  Bereitstellung bezahlbarer Wohnungen nicht ausreichend gerecht. Auch im Bereich Sozialstaatlichkeit ist aber die „Lücke“ zwischen Bevölkerung und Sozialdemokratie in Dänemark deutlich geringer. Dies gilt wiederrum verstärkt für das Segment der sozial schwachen Wähler .

Ja zu Europa, aber etwas mehr Skepsis

In Sachen Europa und Globalisierung würden sich viele Bürger von der SPD eine etwas zurückhaltendere, weniger euphemistische Positionierung erhoffen. Auch hier sind die dänischen Sozialdemokratien mit einer skeptischeren Positionierung bei diesen Thema näher an den Erwartungen und Stimmung der dänischen Bevölkerung.

Ein klarer Kontrast zwischen den Wahlgewinnern aus Dänemark und der SPD zeigt sich dagegen in der Frage der Bürgernähe ihrer Angebote im Bereich Kriminalitätsbekämpfung und Migrationspolitik. In diesen Bereichen sind die Unterschiede in der Bürgernähe der beiden Parteien am deutlichsten. Während der Abstand der dänischen Sozialdemokratie bei diesen Fragen auf einer Skala von 1-7 bei geringen 0,1 Punkten liegt, weist die SPD in diesem Bereich einen Abstand von der Meinung der Durchschnittbevölkerung von 1,35 (Zuwanderung) bzw. 0,85 (Kriminalität) auf –  der zweitgrößte Abstand aller untersuchten Parteien in Europa. Bei sozial schwächeren Wählern liegt dieser Abstand sogar bei 1,75 Punkten (Zuwanderung) bzw. 1,3 (Kriminalität) – wiederum die zweitgrößte Distanz aller untersuchten Parteien.

60 Prozent der Deutschen für mehr Zuwanderungskontrolle

Diese Unterschiede beruhen nicht etwa auf unterschiedlichen Erwartungshaltungen der deutschen und dänischen Gesellschaften in diesen Fragen. Den Werten der Weltoffenheit und Toleranz messen die dänischen Bürger sogar einen höheren Stellenwert bei als die Deutschen. Gleichzeitig befürwortet aber eine knappe Mehrheit der Dänen von 52 Prozent eine Begrenzung der Zuwanderung und weiß sich darin mit der Socialdemokratiet  einig. In Deutschland fällt die Forderung nach stärkerer Zuwanderungskontrolle mit 60 Prozent sogar noch etwas stärker aus als im Nachbarland. Selbst 55 Prozent der (verbliebenen ) SPD-Wähler votieren dafür - aber diese Bürger sehen sich darin nicht von der SPD unterstützt. Von der SPD nicht repräsentiert fühlen sich insbesondere wiederum die unteren sozialen Schichten, die sich schon bei der Agendapolitik zu kurzgekommen fühlten. Ihre Forderung nach stärkerer Zuwanderungskontrolle als Ausweis von Fremdenfeindlichkeit zu interpretieren, wie dies in manchen SPD-Kreisen üblich ist, übersieht die ungleiche Lastenverteilung der Migrationspolitik.

Fazit: Betrachtet man die Ergebnisse der Studie, so erscheinen die dänischen Sozialdemokraten durchaus als Vorbild – nicht nur für die SPD, sondern für die ganze linke Mitte Europas: Sie gewinnen Wahlen, weil sie in vielen Fragen Positionen bezogen haben, die deutlich näher an den Erwartungen der Wähler sind als die anderer Mitte-Links-Parteien in Europa. Die SPD wäre gut beraten, sich dieser Tatsache zu stellen und ihre Erneuerungsbemühungen auf ihr eigentliches Problem zu konzentrieren. Das sind nicht Personalfragen, sondern Fragen nach der Positionierung der Partei in einigen zentralen politischen Herausforderungen unserer Zeit. Will die SPD Volkspartei bleiben, muss sie wieder die „hard-working-people“ erreichen.

 

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            „Common Sense Gap“, eine repräsentative Studie von policy matters im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Fallzahl in Dänemark 1058, in Deutschland 1046 Wahlberechtigte. Darüber hinaus wurden Umfragen in Frankreich, England, Italien, Schweden, den Niederlanden, Österreich und Polen durchgeführt. Befragungszeitraum: Oktober 2018

 

Autor*in
Ernst Hillebrand

war Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen.

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