Brexit: Was die Bundesregierung jetzt für Deutsche in Großbritannien tun muss
Florian Gaertner/photothek.net
Nun ist es soweit: Die Brexit-Übergangszeit endet am 31. Dezember und der von vielen befürchtete und von einigen herbeigesehnte endgültige Abschied Großbritanniens aus der EU steht unmittelbar bevor. Auch wenn ein kurzfristiger Aufschub weiterhin möglich ist, steht eine Sache bereits fest. Es wird im besten Fall ein harter Austritt, also ohne ein umfassendes (Handels-) Abkommen; im schlimmsten Fall kommt es zum so genannten Crash-Out, also dem ungeregelten Austritt, der die Handelsbeziehungen auf das Minimum zurückfährt – der von Regierungskritikern in London so genannte Afghanistan Deal.
Die Befürchtungen der Deutschen in Großbritannien
Auch wenn die harte Verhandlungsposition der EU im Sinne kontinentalen Zusammenhalts zu begrüßen ist, so hat diese doch konkrete Auswirkungen für die EU-Bürger*innen, die in Großbritannien leben und deren Bürgerrechte nun nachhaltig beschnitten werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidungsträger*innen um den EU Verhandlungsführer Michel Barnier zu einem gewissen Grad auch hierauf Rücksicht nehmen.
Dazu kommen spezielle Herausforderungen, denen sich Deutsche in Großbritannien ab Januar (oder dem endgültigen Ende der Übergangsfrist) stellen müssen, die nicht unmittelbar durch das EU Verhandlungsmandat gedeckt sind und daher in den Kompetenzbereich der Bundesregierung fallen.
Die Befürchtungen der deutschen Gemeinschaft hier in Großbritannien kann man grob in drei Kategorien einteilen: Wie wird sich die Stimmung im Land verändern? Wie wird sich unsere rechtliche Stellung hier verändern? Und wie wird uns die Bundesregierung in Zukunft behandeln?
Gefährliche Entwicklung in Richtung Nationalismus
Der Ton in Großbritannien wird auf jeden Fall rauer. Die vor allem von den konservativen Printmedien vorangetriebene Kampagne zum Austritt aus der EU hat keineswegs nachgelassen. Im Gegenteil lässt sich eine gefährliche Entwicklung in Richtung Nationalismus beobachten. Im Alltag bekommt man dies bereits vielerorts zu spüren. Abwertende Kommentare gegenüber Ausländer*innen werden häufiger, nicht nur im allgemeinen Diskurs, sondern auch beim Einkaufen im Supermarkt oder auch vielfach im Arbeitsumfeld.
Die konservative Regierung unter Boris Johnson sieht sich nicht gezwungen, in diesem Zusammenhang zur Mäßigung aufzurufen. Vielmehr ist auch hier mit einer Verschärfung der Rhetorik zu rechnen, wenn Großbritannien erwartungsgemäß von einem ungeregelten Austritt aus der EU wirtschaftlich hart getroffen wird. Mancher befürchtet gar eine Wiederholung des so genannten Windrush Scandal: 2018 wurden Einwander*innen aus der Karibik, denen in den 1970er Jahren die Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde, fälschlicherweise interniert und abgeschoben wurden.
Offene Fragen auf persönlicher Ebene
Diese Befürchtung ist unmittelbar durch die unklare Rechtssituation von EU-Bürger*innen in Großbritannien begründet. Zwar wurde Ende 2018 der „Settled Status“ für Einwander*innen aus der EU eingeführt – eine Art unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Doch dieser gewährt leider keine Rechtssicherheit. Seit Einführung des Settled Status wurde die Rechtslage bereits dreimal angepasst – zugegebenermaßen bislang immer zum Vorteil der EU-Bürger*innen – und angesichts der beschriebenen nationalistischen Tendenzen ist mit Rechtsbeschneidungen nach einem ungeordneten Austritt zu rechnen.
Zudem erhält man bislang kein physisches Dokument, das diesen Status nachweist. Das hat direkte und unabsehbare Auswirkungen auf Alltagsfragen, angefangen von eher nachrangigen Themen wie der Einreise mit deutschem Personalausweis oder der Notwendigkeit von Visa für Besuche durch Familienangehörige. Doch diese offenen Fragen auf persönlicher Ebene schmerzen. Materiell schmerzvoller steht bislang in den Sternen, wie es zukünftig um den Zugang zum britischen Arbeitsmarkt für EU Bürger steht. Verbindliche Rechtssicherheit wäre insbesondere in diesem Bereich wünschenswert.
Drei Dinge, die die Bundesregierung tun sollte
Und denjenigen, die aufgrund der aktuellen Rechtsunsicherheit in Großbritannien den Entschluss fassen, nach Deutschland zurückzukehren, droht womöglich der soziale Abstieg. Denn bislang ist unklar, ob man Ansprüche auf Sozialleistungen, angefangen von kurzfristiger Unterstützung während der Arbeitssuche bis zu Rentenansprüchen ohne Weiteres aus Großbritannien übertragen kann, oder im Falle von Sozialleistungen auf die Grundsicherung zurückfiele und bei privater Altersvorsorge steuerlich doppelt belastet würde. Beinahe ein Luxusproblem ist im Vergleich dazu die Frage, wie zukünftig Bildungsabschlüsse aus Großbritannien anerkannt werden – ein schon jetzt trotz der Bolognareform kostspieliger und komplizierter Vorgang.
Auch wenn die Verantwortlichkeit für viele dieser Probleme der konservativen Regierung um Boris Johnson zugesprochen werden muss, so kann die Bundesregierung mindestens drei Dinge tun, um ihrer Fürsorgepflicht gegenüber Deutschen in Großbritanniens nachzukommen.
- Erstens sollte die Bundesregierung auch nach Ende der Übergangsperiode die doppelte Staatsbürgerschaft für Deutsche in Großbritannien ohne Erfordernis einer Beibehaltungsgenehmigung ermöglichen. Der britische Pass steht vielen Deutschen in Großbritannien offen und würde individuelle Rechtssicherheit schaffen. Die Bundesregierung sollte dem keine Steine in den Weg legen.
- Zweitens sollte die Bundesregierung öffentlichkeitswirksame Kooperationen der Zivilgesellschaft in größerem Umfang unterstützen. Die EU (und vielfach auch Deutschland) hat den Kampf um die öffentliche Meinung, wie er in der britischen Presse ausgetragen wird, an vielen Stellen – möglicherweise sogar umfassend – verloren. Die deutschen politischen Stiftungen, die Goethe Institute und Organisationen wie das British German Forum können dem positive Narrative entgegenhalten. Die Bundesregierung sollte hierfür zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen.
- Drittens liegt es auch in der Hand der Bundesregierung, die britische Regierung auf die oben genannten Missstände hinzuweisen und sowohl hinter den Kulissen, als auch öffentlich klar zu machen, dass die Bürgerrechtssitution von Deutschen in Großbritannien eine Priorität für Berlin darstellt.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am King's College London, im Vorstand des SPD Freundeskreises London/UK und Ko-SPrecher der SPD International.