Berlin-Wahl: Warum die CDU nicht automatisch regieren wird
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Großer Jubel am Sonntagabend bei Kai Wegner und der Berliner CDU. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus sind die Konservativen mit 28,2 Prozent der Stimmen nach dem vorläufigen Endergebnis klar stärkste Kraft geworden. Wird das Rote Rathaus jetzt also schwarz und Kai Wegner Regierender Bürgermeister? Nicht automatisch, denn die bisher regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei verfügt weiter über eine klare Mehrheit. Die Empörung der Union über eine mögliche Fortsetzung dieses Bündnisses ist schon jetzt groß. Doch zeigt ein Blick in die Historie, dass die stärkste Partei nicht immer nach der Wahl auch ein Regierungsbündnis angeführt hat. Oft war die CDU dabei nicht unbeteiligt.
Hamburg: SPD gewinnt, CDU regiert
Zum Beispiel im Jahr 2001 in Hamburg. Bereits 44 Jahre lang hatte die SPD stets die Regierung des Stadtstaates angeführt. Mit dem Ersten Bürgermeister Ortwin Runde zog die Partei in den Wahlkampf und wurde mit 36,5 Prozent der Stimmen klar stärkste Kraft. Die CDU um Ole von Beust verlor sogar 4,5 Prozentpunkte im Vergleich zur vorherigen Wahl und landete mit 26,5 Prozent deutlich hinter der SPD. Dennoch bildete von Beust nach der Wahl eine Regierung mit der rechtspopulistischen Schill-Partei und der FDP und ließ sich zum Bürgermeister wählen. Der SPD blieb nur der zehn Jahre währende Gang in die Opposition.
Oft beanspruchen Parteien, die bei einer Wahl als stärkste Kraft ins jeweilige Parlament gewählt werden, den sogenannten Regierungsauftrag für sich. Wirklich sicher sein können sie damit aber nicht, auch eine Regierung bilden zu können. Das bekam beispielsweise die SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Sommer 1966 zu spüren. Die Partei holte 49,5 Prozent der Stimmen, verfehlte also die absolute Mehrheit nur knapp. Zur Regierungsbildung reichte es trotzdem nicht. CDU-Ministerpräsident Franz Meyers regierte gemeinsam mit der FDP zunächst weiter. Erst im Dezember desselben Jahres brachte ein konstruktives Misstrauensvotum den Sozialdemokraten Heinz Kühn ins Amt. Die CDU blieb daraufhin fast 40 Jahre lang in der Opposition.
Willy Brandt schlägt Kiesinger
Natürlich war die Freude bei Kai Wegner groß. Mit einem Zugewinn von 10,2 Prozentpunkten darf er sich als Wahlsieger fühlen. So erging es schon manch anderem Konservativen, zum Beispiel Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, dessen Union nach der Bundestagswahl 1969 nur zehn Sitze im Bonner Parlament zur absoluten Mehrheit fehlten. So blieb Kiesinger der Kanzler mit der kürzesten Amtszeit in der Geschichte der Bundesrepublik. Sein Nachfolger wurde der bisherige Stellvertreter und bei der Wahl Zweitplatzierte Willy Brandt, der fortan in einer sozial-liberalen Koalition mit der FDP regierte.
Bei der niedersächsischen Landtagswahl im Jahr 1974 erzielte die CDU mit 48,8 Prozent ihr bis dato bestes Ergebnis. Die SPD konnte dennoch durch die Unterstützung der FDP zunächst weiter regieren. Erst zwei Jahre später zerbrach die Koalition und der Konservative Ernst Albrecht kam ins Amt.
In Schweden regiert der Wahlverlierer
Auch in der jüngeren Geschichte finden sich ähnliche Fälle, zum Beispiel in Schweden in Folge der Parlamentswahl im vergangenen Jahr. Damals wurden die Sozialdemokrat*innen mit der bis dahin amtierenden Ministerpräsidentin Magdalena Andersson mit 30,33 Prozent klar stärkste Kraft. Dennoch musste sie ihr Amt nach nicht einmal einem Jahr wieder aufgeben. Denn der Konservative Ulf Kristersson erreichte mit seiner Partei zwar nur 19,1 Prozent der Stimmen, ließ sich jedoch mit Unterstützung der noch vor ihm liegenden rechtspopulistischen Schwedendemokrat*innen zum Ministerpräsidenten wählen.
Werte sprechen für Giffey
In Berlin spricht für eine Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, dass sie nach den Werten von Infratest dimap bei einer theoretischen Direktwahl die besten Werte im Vergleich mit ihren Konkurrent*innen Kai Wegner und Bettina Jarasch (Grüne) erzielt hat. Zudem gilt sie bei den Berliner*innen im Vergleich als beliebteste Politikerin. Eine Regierung von SPD, Grünen und Linken wird von 38 Prozent der Wähler*innen befürwortet, ein schwarz-rotes Bündnis nur von 30 Prozent, ein schwarz-grünes sogar nur von 16 Prozent der Befragten.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo