Meinung

Bekämpfung der Inflation: Warum eine Mehrwertsteuersenkung nicht hilft

Eine Mehrwertsteuersenkung würde zur Bekämpfung der Inflation kaum helfen, meint Gustav Horn. Der Ökonom schlägt stattdessen ein Bündel an Maßnahmen vor, um vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen besser zu unterstützen.
von Gustav Horn · 3. Mai 2022
Lebensmittel sind durch die Inflation zuletzt deutlich teurer geworden. Eine Mehrwertsteuersenkung würde jedoch zur Bekämpfung kaum helfen, meint der Ökonom Gustav Horn.
Lebensmittel sind durch die Inflation zuletzt deutlich teurer geworden. Eine Mehrwertsteuersenkung würde jedoch zur Bekämpfung kaum helfen, meint der Ökonom Gustav Horn.

Die Preise steigen scheinbar ohne Ende. Die schmerzliche Folge für viele Haushalte ist, dass der Geldbeutel automatisch immer schmaler wird, da man für das gleiche Einkommen immer weniger kaufen kann. Dieser Trend hat sich entgegen den Erwartungen vieler Expert*innen in den vergangenen Monaten weiter verschärft. Denn die höheren Energiepreise belasten fast alle Bereiche der Wirtschaft, so dass sich der Preisanstieg  immer weiter ausbreitet. So mancher Anbieter nutzt zudem die Gelegenheit, in dieser Zeit allgemeiner Preissteigerungen, in der der einzelne Preisanstieg nicht mehr besonders auffällt, seine Gewinnmargen zu erhöhen. Im Ergebnis schwindet die Kaufkraft besonders von Haushalten mit niedrigen Einkommen. Das Leben wird schwieriger.

Wie ein schlecht kontrolliertes Tempolimit

In jüngster Zeit wird nun der Vorschlag diskutiert, man solle die Mehrwertsteuer zumindest für einige Grundnahrungsmittel und Energie absenken oder gar ganz abschaffen. Für Benzin ist diese sogar Teil eines Entlastungspakets der Bundesregierung. Das ist sicherlich alles gut gemeint, hilft aber nur wenig bis überhaupt nicht. Ein großes Problem ist, dass die Steuersenkung unter den gegenwärtigen Umständen nicht oder zumindest anfänglich nicht vollständig an die Kund*innen weitergegeben wird, sondern als zusätzlicher Gewinn in den Taschen der Anbieter landet.

In einem Umfeld allgemein steigender Preise ist diese Versuchung groß. Man kann nur darauf hoffen, dass harter Wettbewerb zwischen den Anbietern zumindest auf Dauer die Preise fallen lässt. Eine solche Steuersenkung ist daher nur wie ein begrenztes und schlecht kontrolliertes Tempolimit, das die Geschwindigkeit des Preisanstiegs allenfalls kurzeitig unterbricht. Spätestens ein Jahr nach der Senkung nimmt die Inflation wieder ihre ursprüngliche Fahrt auf, wenn man die grundlegenden Ursachen des breitflächigen Preisanstiegs inzwischen nicht wirklich in den Griff bekommen hat.

Preissteigerungen betreffen ganze Wirtschaft

Dessen Wurzeln sind leicht identifizierbar und jeder kennt sie. Der Inflationsimpuls ging im vergangenen Jahr von den teilweise massiv steigenden Energiepreisen aus, ein Anstieg, der sich im Zuge des Kriegs Russlands mit der Ukraine zeitweise noch massiv verstärkte. Hinzu kamen die immer noch bestehenden Lieferkettenprobleme die zu Knappheiten bei vielen Vorprodukten führte, was deren Preise ebenfalls rasant steigen ließ.

Diese Preisimpulse haben zwei Eigenschaften, die ihre Bekämpfung merklich erschweren. Erstens, sie kommen aus dem außereuropäischen Ausland, sind also importiert und können daher von der europäischen Wirtschaftspolitik nicht an ihrem Ursprung angegangen werden. Zweitens, diese Preise sind für nahezu alle Bereiche der Wirtschaft wichtig. Vorprodukte und Energie werden schließlich fast überall gebraucht. Die Preissteigerungen strahlen also auf die ganze Wirtschaft aus, jeder Haushalt und jedes Unternehmen ist betroffen.

Übergewinnsteuer als mögliche Lösung

In einer solchen Situation ist tatsächlich in erster Linie die Wettbewerbs- und die Finanzpolitik gefordert. Erstere muss darauf achten, dass Unternehmen die allgemeinen Preissteigerungen nicht zu einer exzessiven Ausdehnung der Gewinnmargen nutzen. Dem gleichen Zweck könnte die Einführung einer Übergewinnsteuer dienen, die die auf diese Weise erzielten Zusatzgewinne abschöpft. Die Einnahmen könnten dazu verwendet werden, um weitere Entlastungspakete für bedürftige Haushalte zu finanzieren. Damit wären weitere dringend benötigte Zuschläge zu Hartz IV oder der Grundsicherung sowie zum Wohngeld möglich. Darüber hinaus könnten weitere Pauschalbeträge an sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Rentner*innen gezahlt werden. 

Neben diesen finanzpolitische Maßnahmen muss aber auch die Geldpolitik ihren Kurs an das neue Umfeld anpassen. Die Zeit der negativen Einlagenzinsen sollte vorbei sein. Auch könnte sie die Anleihekäufe schneller als geplant zurückfahren und gegebenenfalls in Verkäufe drehen, um Liquidität aus dem Wirtschaftskreislauf zu ziehen. Dies sollte überschüssige Nachfrage etwas dämpfen. Auch der Leitzins könnte nach Ankündigung leicht erhöht werden, vor allem um den Kurs des Euro zu stützen und damit insbesondere Energie-Importe billiger und Kredite teurer zu machen. Letzteres dämpft zudem die spekulative Nachfrage vor allem beim Bau.

Mit einem solchen Bündel an Maßnahmen sollte die Inflation allmählich abebben. Zumindest könnten Menschen mit niedrigen Einkommen etwas vor ihren Folgen geschützt werden. Denn deren Geldbörsen sollten nicht Monat für Monat  schmaler werden.

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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