Außen- und Sicherheitspolitik: Wo die SPD noch blinde Flecken hat
imago/Metodi Popow
Das im Januar vorgestellte Papier des Parteivorstands zu „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ ist ein guter Anstoß für eine dringend notwendige inhaltliche Debatte zur Ausrichtung sozialdemokratischer Außenpolitik und unseres Verständnisses globaler Zusammenhänge. Es ist daher begrüßenswert, dass das Papier alle aktuellen Schlagworte im Kontext der Zeitenwende aufzählt und kurz kommentiert.
Kein strategisches Bekenntnis zum europäischen Föderalismus
Dass „ein kooperativer Führungsstil unsere Antwort auf eine Welt im Umbruch“ ist, ist positiv zu bewerten. Gleichwohl werden insbesondere mit Schlagworten wie der „wertegeleiteten Interessenpolitik“ auch konzeptionelle Widersprüche, blinde Flecken und ungeklärte Fragen deutlich. Um zu einer kohärenten internationalen Strategie zu kommen, müssen wir uns zunächst unserer Werte und Interessen bewusstwerden, und schließlich auch eine realistische Einschätzung des internationalen Umfelds vornehmen. Das Papier trägt Ansätze dieser Schritte in sich.
So ist beispielsweise „Europa als Zentrum“ ein spannender Gedanke, doch abgesehen von der Wortwahl, die stark an die entwicklungspolitischen Debatten der 1960er und -70er Jahre erinnert, stellt sich die Frage, wie wir dieses Europa ausgestalten wollen. „Genuine Eigenmittel für die EU“ und „Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik“ sind ein Mindestbekenntnis zu einer handlungsfähig(er)en EU, doch bleibt ein strategisches Bekenntnis zum europäischen Föderalismus aus. Denn ein solches Bekenntnis müsste auch klarstellen, wie Deutschland mit Mehrheitsentscheidungen und Mittelaufwendungen umgehen würde, die nicht dem deutschen Willen entsprechen oder möglicherweise sogar deutschen Interessen zuwiderlaufen. Europäischen Problemfällen das Stimmrecht zu entziehen ist hierbei eine Möglichkeit, Druck auszuüben und Entscheidungen zu beschleunigen, jedoch alles andere als kooperativ.
Viele offene Fragen beim Multilateralismus
Bedeutend ist im europäischen Kontext auch der konzeptionelle Widerspruch eines europäischen Zentrums zu dem unausgegorenen (Lippen-?) Bekenntnis zu starken Vereinten Nationen und multilateralen Institutionen. Strategische Partnerschaften mit uns wohlgesonnenen Ländern sind nun einmal eine andere Form des Multilateralismus als starke globale Institutionen, die in ein universelles Regelwerk eingebettet sind. Ein geopolitisch souveränes und wirtschaftlich anziehendes Europa wird sich kaum von Institutionen, die möglicherweise tatsächlich die Interessen des Globalen Südens widerspiegeln, einbinden und in seiner Handlungsfähigkeit einschränken lassen. Der am Ende des Papiers mit Recht geforderte Ansatz eines „Multilateralismus ohne Doppelstandards“ sic, wird auf dieser Grundlage schwer zu verwirklichen sein.
Vor allem die Handelspolitik ist europäische Kompetenz und das Papier stellt zeitgemäße Fragen und Forderungen auf, bleibt jedoch vage, wie etwa „geschlossene Wertschöpfungsketten in Europa“ mit unserem Einsatz für „freien, gerechten und regelbasierten Welthandel“ zu vereinbaren sind. Selbstverständlich sind Abhängigkeiten im Licht des russischen Krieges in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt, doch sollten die 25 Jahre ohne zwischenstaatliche Konflikte in Europa nach dem Fall der Berliner Mauer nicht ganz vergessen werden. Interdependenz, also gegenseitige Abhängigkeit als Ergebnis von wirtschaftlicher und politischer Kooperation, hat zu dieser Friedensdividende sicherlich auch ihren Beitrag geleistet.
Das Wissen der SPD-Mitglieder nutzen
Ein blinder Fleck ist auch die mangelnde Anerkennung des Umstands, dass der Globale Süden möglicherweise nicht derart umfassend auf europäische Hilfe angewiesen ist, wie es augenscheinlich angenommen wird. In den kommenden drei Jahren wird der G20 Vorsitz von BRICS-Staaten gehalten, eine Chance, die globale Agenda zu bestimmen, ohne zuerst in Brüssel anzuklopfen – im Gegenteil. Dass die Bedeutung der G20 erkannt wurde, ist den Autor*innen des Papiers positiv anzurechnen. Unklar bleibt, welche Konsequenzen daraus gezogen werden.
Dies sind nur wenige Beispiele, an denen ersichtlich wird, dass der erste Schritt auf dem Weg zu einer glaubwürdigen und kohärenten internationalen Strategie, die sozialdemokratischen Werten entspricht, zwar gegangen ist, doch auch dass der Weg zum Ziel noch dauern wird. Es entbehrt zudem nicht einer gewissen Ironie, dass der Prozess zu diesem Papier weder transparent noch inklusiv war, doch zugleich international Transparenz und Kooperation gefordert werden. Das Ergebnis spricht für sich selbst. Wissen und Erfahrungsschatz unserer Parteimitglieder, insbesondere der SPD International, die vielfach seit Jahren im Ausland leben, sind wertvolle Ressourcen, die es sich zu nutzen lohnt. Die Mitglieder teilen ihre Expertise gerne. Wir freuen uns auf eine spannende und richtungsweisende Debatte.
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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am King's College London, im Vorstand des SPD Freundeskreises London/UK und Ko-SPrecher der SPD International.