Auschwitz ist auch unsere Verantwortung
Der Philosoph Theodor W. Adorno sagte 1966: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“ Siebzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee stellt eine aktuelle Forsa-Umfrage fest: Über 20 Prozent der 18- bis 30-Jährigen in Deutschland können den Begriff „Auschwitz“ nicht mehr zuordnen.
Zu glauben, mit der Nazi-Zeit nichts mehr zu tun haben zu müssen, oder sich nicht sonderlich dafür zu interessieren, ist falsch. Nicht nur weil die Täter der Generation unserer Groß- und Urgroßeltern entstammen, ist es unsere Verantwortung, die Erinnerung an die grausamen Verbrechen der Nazis wachzuhalten.
Es ist auch unsere Verantwortung nie zu vergessen, dass es Deutsche waren, die die Juden Europas deportierten und ermordeten. Es ist auch unsere Verantwortung sich mit den Mechanismen von Ausgrenzung und Verfolgung auseinanderzusetzen, allen rechten Bewegungen entgegenzutreten und zu verhindern, dass sich dieses dunkelste Kapitel wiederholen kann.
Das Gedenken verändert sich
Um gemeinsam zu erinnern, zu gedenken und die Verantwortung der Jugend an die Jugend zu vermitteln, hat sich siebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ein breites Bündnis gegründet. Angestoßen von der DGB Jugend beteiligen sich fast zehn Jugendverbände an diesem. Neben uns Jusos sind der Bund der katholischen Jugend und der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend, Naturfreundejugend, AWO - Jugendwerk, die Falken und politische Jugendorganisationen wie die Grüne Jugend und Linksjugend.solid mit dabei.
Der Umgang mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus verändert sich. Die nachfolgenden Generationen werden in ihren Familien niemanden mehr erleben, der oder die den zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Die Gespräche mit Zeitzeugen, die in meiner Schulzeit fest eingeplant waren, sind heutzutage kaum noch möglich. Die meisten derer, die heute als Überlebende die Reise zur Gedenkzeremonie nach Auschwitz angetreten haben, waren als Kinder und Jugendliche in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und sind heute im hohen Alter.
So werden die Unmenschlichkeit und die industrielle Ermordung von Millionen Menschen bald nicht mehr unmittelbar persönlich greifbar sein. Schon heute kommt immer mehr persönliches Wissen zum Nationalsozialismus aus Filmen und Reportagen. Umso wichtiger ist es, mit Gedenkstättenfahrten und dem Besuch von Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, Theresienstadt und all den anderen Konzentrationslagern der Unvorstellbarkeit der Tötungsmaschinerie eine Gestalt zu geben.
Der Gang an den verschneiten und vereisten Baracken und Gaskammer-Ruinen in Auschwitz-Birkenau ist schwer zu beschreiben. Er ist einschüchternd, er ist verstörend und er wird mich für immer prägen. Wie viel unfassbarer wird jedwede Vorstellung der Judenverfolgung, wenn man die Gleise und Gebäude sieht, die nur zum Morden gebaut worden sind. Mehr als 1,1 Millionen Menschen, davon mehr als 1 Millionen Jüdinnen und Juden, wurden hier ermordet. 900.000 der Deportierten kamen direkt aus den Zügen in die Gaskammern.
Das Unbegreifbare greifbar machen
Für uns Jusos ist es deshalb wichtig, neben unserer alltäglichen antifaschistischen Arbeit, die Besinnung auf die Verbrechen, Entwicklungen und die unzähligen Opfer des Faschismus wieder stärker in unsere Arbeit integrieren. Es ist unsere Aufgabe immer wieder aufzuzeigen, wohin Rassismus, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit führen können.
Etwas mehr als die Hälfte aller Deutschen hat schon mal eine KZ-Gedenkstätte besucht – es sind immer noch zu wenig. Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Dazu gehört es, mit eigenen Augen zu sehen, wahrzunehmen und das Unbegreifbare greifbar zu haben. Wer hier war, vergisst es nicht.