Meinung

Atomwaffenverbotsvertrag: Ein neuer Impuls für nukleare Abrüstung

An diesem Freitag tritt der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Deutschland hat den Vertrag nicht mitgezeichnet, dafür gibt es aber nachvollziehbare Gründe. Doch es gibt andere Möglichkeiten, das richtige Vorhaben zu unterstützen.
von · 21. Januar 2021
Atomrakete im Silo: Atomare Abschreckung ist keine Garantie für echte gemeinsame Sicherheit.
Atomrakete im Silo: Atomare Abschreckung ist keine Garantie für echte gemeinsame Sicherheit.

Am 22. Januar tritt dreieinhalb Jahre nach seiner Verabschiedung durch die VN-Generalversammlung der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Kraft. Er verbietet die Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von Kernwaffen sowie die Drohung damit. Zu diesem Vertrag geführt hat die Frustration in weiten Teilen der Welt über mangelnde Fortschritte im Bereich der nuklearen Abrüstung. Die Aufrüstung mit und die Verbreitung von Atomwaffen haben in den letzten zwei Jahrzehnten wieder stark zugenommen. So besitzt Nordkorea inzwischen Atomwaffen, und die USA, Russland und China modernisieren ihre Arsenale. Vom AVV geht das klare Signal aus, dass viele Staaten auf dieser Welt dem nuklearen Wettrüsten nicht weiter tatenlos zusehen wollen. Deutsche und europäische Außenpolitik, die sich einem regelbasierten Multilateralismus verpflichtet sieht, sollte eine solche Entwicklung nicht ignorieren.

Deutschland engagiert sich seit langem für die nukleare Abrüstung. Erst Anfang Januar hat sich Außenminister Heiko Maas in Amman auf einer Abrüstungskonferenz der sogenannten „Stockholm-Initiative“ für dieses Ziel eingesetzt. Gleichwohl hat sich Deutschland nicht an der Ausarbeitung des Atomwaffenverbotsvertrag beteiligt und beabsichtigt auch nicht, ihm beizutreten. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe.

NATO-Bündnis als Beitritts-Hürde

Eine Mitgliedschaft im AVV wäre nicht mit unseren bündnispolitischen Verpflichtungen innerhalb der NATO vereinbar. Die NATO garantiert aber unsere Sicherheit und die unserer europäischen Partner. Dies dürfen wir nicht aufs Spiel setzen, obgleich wir die grundsätzlichen Ziele des AVV mittragen. Deutschland steht zum Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt und fordert dafür konkrete Abrüstungsschritte der Atommächte ein.

Kritiker des AVV bemängeln darüber hinaus, dass bislang kein einziger Nuklearwaffenstaat dem AVV beigetreten ist und ihm vermutlich auch niemals beitreten wird – denn er müsste umgehend einen Prozess der eigenen vollständigen Denuklearisierung einleiten. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass sich ein Nuklearwaffenstaat einer solchen einseitigen Verpflichtung unterwerfen wird. Insofern ist der bereits seit über 50 Jahren bestehende Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) nach wie vor die einzige Grundlage für weitere verhandelte und verifizierbare Abrüstungsschritte. Hinzu kommt die Befürchtung, dass dem NVV durch den AVV eine Konkurrenz erwachsen könnte und damit letztendlich eine Schwächung des NVV mit seinen erprobten Überwachungsverfahren verbunden sei. Dies wiederum würde dem Ziel der weltweiten nuklearen Abrüstung einen Bärendienst erweisen.

Diplomatie kennt mehr als nur schwarz und weiß

Allerdings gibt es zwischen diesen beiden Positionen – Beitritt versus Ablehnung – durchaus noch eine dritte Möglichkeit: In der internationalen Diplomatie gibt es für solche Fälle eigens die Möglichkeit des Beobachterstatus. Damit wird Staaten, die einer Sache (vollständige nukleare Abrüstung) im Grundsatz positiv gegenüberstehen, aber aus übergeordneten und nachvollziehbaren Gründen wie in diesem Fall nicht beitreten können (Bündnisverpflichtungen), die Möglichkeit gegeben, den Prozess zu begleiten, ohne dabei in einen Interessenkonflikt zu geraten. Der AVV ist dafür ein geeigneter Anwendungsfall.

Denn Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen, deren Einsatz die Menschheit im schlimmsten Fall auslöschen kann. Mit dieser Bedrohung dürfen wir uns nicht einfach abfinden, sondern unsere Anstrengungen auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung weiter verstärken. Gleichzeitig muss es darum gehen, die Bedeutung von Nuklearwaffen im sicherheitspolitischen Denken zu verringern und Eskalationsrisiken zu minimieren. Das erfordert ganz konkrete Schritte: maximale Transparenz in den nuklearen Arsenalen, verantwortungsvolle und restriktive Nukleardoktrinen sowie einen Dialog zwischen den Nuklearwaffenstaaten, um Fehlwahrnehmungen abzubauen und die Basis für neue rüstungskontrollpolitische Ansätze zu schaffen.

Deutschlands Brückenfunktion

Deutschland als Nicht-Atomwaffenstaat kann zwischen den Nuklearwaffenstaaten und der großen Anzahl der Staaten, die sich für eine Denuklearisierung einsetzen, eine Brückenfunktion einnehmen. Deshalb sollte Deutschland bei der in den kommenden zwölf Monaten anstehenden ersten Vertragsstaatkonferenz des AVV als Beobachter teilnehmen und dies abgestimmt mit möglichst vielen europäischen Partnern tun, die aufgrund ihrer NATO-Mitgliedschaft oder wegen inhaltlicher Vorbehalte (Schweiz, Schweden) den AVV nicht ratifizieren. Damit würden wir ein klares Signal aussenden, dass wir das Ziel der Denuklearisierung dieser Welt uneingeschränkt unterstützen, ohne unsere Bündnisverpflichtungen in Frage zu stellen. Zugleich könnte dieser Schritt auch eine Ermutigung für andere Partner in  der Welt wie Japan und Südkorea sein, es uns gleich zu tun und damit ein Zeichen für weltweite nukleare Abrüstung zu setzen.

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