Meinung

Aiwanger: Warum Söder nicht ohne die Freien Wähler kann

Keine Entlassung, auch kein Freispruch, sondern ein 25-Fragen-Katalog. Bayerns Ministerpräsident Söder setzt im Fall Aiwanger auf eine Salamitaktik. Auch weil er den Freien Wählern mit Blick auf die Bundestagswahl in zwei Jahren ausgeliefert ist.
von Jonas Jordan · 30. August 2023
Fall Aiwanger: Söder braucht die Freien Wähler und spielt daher auf Zeit.
Fall Aiwanger: Söder braucht die Freien Wähler und spielt daher auf Zeit.

Markus Söder kann nicht ohne die Freien Wähler und die Freien Wähler sind ohne ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger nicht denkbar. Insofern ist die derzeitige Strategie des bayerischen Ministerpräsidenten im Umgang mit der Flugblatt-Affäre erwartbar, aber nicht überzeugend. Zum Hintergrund: Am Wochenende hatte die „Süddeutsche Zeitung“ über ein antisemitisches Flugblatt berichtet, das Aiwanger in den 1980er-Jahren als Schüler verfasst haben soll. Der Wirtschaftsminister wies das zurück, räumte jedoch ein, es seien Exemplare davon in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder, er habe das Flugblatt verfasst.

Eine Erklärung, die offenbar auch Söder nicht überzeugte, weshalb der Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende für Dienstagvormittag eine Sondersitzung des bayerischen Kabinetts einberuf. Wer jedoch im Anschluss daran einen Paukenschlag erwartet hatte, wurde enttäuscht. Weder hat Söder seinem Stellvertreter die Absolution erteilt, noch hat er Aiwanger entlassen. Zwar hat Söder das „Hetz-Flugblatt“ als „ekelhaft, widerlich und übelster Nazi-Jargon“ bezeichnet. Auch soll Aiwanger nun 25 Fragen schriftlich beantworten. Bis wann, ist aber ebenso unklar wie das, was danach passiert.

Wenig überzeugende Salami-Taktik

Klar ist hingegen, dass Söders Salami-Taktik, auf Zeit zu spielen und Aiwanger verbal vor sich herzutreiben, wenig überzeugend wirkt. Söder versucht, den Vorsitzenden der Freien Wähler wie den peinlichen Onkel darzustellen, der auf Festen lallend in der Ecke steht, aber eben doch zur Familie gehört. Das zeigte sich schon nach dem Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg, als Söder seinen Stellvertreter nach einem Verbal-Scharmützel mit der Grünen-Landesvorsitzenden Katharina Schulze mit den Worten „Hubert, trink alhokolfrei!“ zurechtstutzte.

Es zeigte sich auch Anfang dieser Woche bei einer Bierzeltrede im niederbayerischen Landshut, just der Heimat von Hubert Aiwanger. Ohne dessen Namen zu nennen, sagte Söder, es gebe Politiker, die „vor Ort daheim im Zelt“ recht groß seien und „Ich werde in München mal auf den Tisch hauen“ tönten, aber mit jedem Kilometer in seine Richtung viel freundlicher und geschmeidiger würden. 

Der peinliche Onkel Aiwanger

Söders Strategie, Aiwanger als den peinlichen Onkel darzustellen, den man eben ertragen müsse, verfängt jedoch gleich aus zwei Gründen nicht. Zum einen verharmlost es Aiwangers rechtsextreme Hetzschrift, die er, wenn nicht verfasst, doch immerhin verbreitet hat. Schlimm genug. Zum anderen ist es mitnichten so, dass die CSU schon immer mit den Freien Wähler koalitiert hat, diese also Teil der eigenen politischen Familie sind. Erst seit 2018 existiert diese Koalition. Zuvor regierte die CSU mit absoluter Mehrheit, davor gemeinsam mit der FDP.

Beide Optionen sind jedoch laut aktuellen Umfragen rechnerisch nicht möglich. Blieben als Alternative zur Koalition mit den Freien Wählern noch Bündnisse mit SPD oder Grünen. Doch mit beiden will Söder partout nicht regieren. Schließlich sind beide Parteien Teil der Ampelregierung in Berlin. Bei einer Koalition auf Landesebene müsste Söder folglich seine Fundamentalopposition gegen die Ampel aufgeben, Bayern wäre nicht länger der „freie Süden“, die „ampelfreie Zone“, wie Söder gern hervorhebt.

Blick Richtung Bundestagswahl

Eine Regierung mit einer der Ampel-Parteien kann sich der CSU-Vorsitzende allerdings mit Blick auf die Bundestagswahl nicht erlauben. Ein Grund sind seine persönlichen Ambitionen als möglicher Kanzlerkandidat der Union, mit denen er immer wieder kokettiert. Ein viel wichtigerer ist das neue Bundestagswahlrecht. Denn bislang galt: Wenn die CSU 45 Direktmandate gewinnt, ist sie mit 45 Abgeordneten im Bundestag vertreten. Auch bei dürftigen 31,7 Prozent der Zweitstimmen wie 2021. Künftig ist das anders. Dann erhalten Parteien nur noch so viele Mandate wie ihnen gemäß ihres Zweitstimmenergebnisses zustehen. Nach dem Ergebnis von 2021 wären das circa 15 Sitze weniger für die CSU. Sie braucht also ein möglichst gutes Zweitstimmenergebnis, für viele Mandate und um bundesweit über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Denn sonst wäre sie gar nicht mehr im Bundestag vertreten.

Deswegen braucht Söder auch die Freien Wähler. Denn nur in einem Bündnis mit ihnen funktioniert seine Fundamentalopposition gegen die Ampel-Regierung, mit der er sich einen deutlichen Stimmenzuwachs im Vergleich zum mageren Ergebnis von 2021 erhofft. Wenn er nun sagt, Koalitionen würden nicht an einer Person hängen, ergo sei eine weitere Zusammenarbeit mit den Freien Wählern auch ohne Aiwanger möglich, ist das eine bewusste Irreführung. Aiwanger ist die Freien Wähler. Er ist nicht nur stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Wirtschaftsminister, sondern auch Bundes- und Landesvorsitzender. Er ist nicht nur der viel zitierte Ein-Mann-Stammtisch, sondern im Grunde eine Ein-Mann-Partei. 

Söders Strategie könnte im Chaos enden

Mit seiner Strategie, auf Zeit zu spielen, versucht Söder nun gleich zwei Lager zu besänftigen. Diejenigen, die sich über Aiwanger empören und zurecht dessen Entlassung fordern, und diejenigen, die das alles für eine bloße Jugendsünde halten. Söder setzt darauf, dass die Empörungswelle schon abebben wird und er dann wie gehabt weiterregieren kann. Das ist zwar unredlich, könnte aber funktionieren. Es könnte allerdings wenige Wochen vor der Wahl auch im Chaos enden.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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