Meinung

75 Jahre Staatsgründung Israels: Rechter Alptraum zum Jubiläum

75 Jahre Staatsgründung sind Grund zu feiern für Israel. Doch die extrem rechten Koalitionspartner von Premier Netanjahu sind ein Albtraum: für Israels Demokratie und sein Ansehen in der Welt. Netanjahu muss den rechten Spuk beenden.
von Rafael Seligmann · 12. Mai 2023
Aufschrei: Hundertausende Israelis protestieren seit Monaten gegen die Versuche der rechten Regierung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuschränken, wie hier am 30.04.2023 in Tel Aviv.
Aufschrei: Hundertausende Israelis protestieren seit Monaten gegen die Versuche der rechten Regierung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuschränken, wie hier am 30.04.2023 in Tel Aviv.

Der 75. Geburtstag Israels in diesem Monat hätte ein Fest der Demokratie, des Wohlstands und der Völkerverständigung werden können. Doch bereits vor Monaten hat das neue Regierungsbündnis den kleinen nahöstlichen Staat ohne Not in seine ernsteste Krise manövriert. Denn die seit Ende 2022 amtierende konservativ-nationalistisch-ultrareligiöse Koalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu will das bewährte Rechtssystem des Landes entscheidend umstrukturieren. Die Befugnisse des Obersten Gerichts sollen eingeschränkt und die Rechte der Regierungskoalition im Gegenzug ausgeweitet werden. So könnte es dem Koalitionsbündnis möglich sein, mit absoluter Mehrheit die liberalen Grundgesetze zu ändern.

Gegen diesen Umbau des Rechtssystems als Teil der Demokratie zu Gunsten der Regierung laufen viele Israelis Sturm. Jedes Wochenende demonstrieren Hunderttausende auf öffentlichen Plätzen, vor allem in der Wirtschaftsmetropole Tel Aviv aber auch anderswo, gegen die Umstrukturierung der Demokratie.

Israel: Eine der größten Stärken war die Demokratie

Eine der größten Stärken Israels ist seit je die Vitalität seiner Demokratie. Bereits kurz nach der Unabhängigkeit setzte der sozialdemokratische Staatsgründer David Ben Gurion Wahlen zum ersten Parlament an. Kein Kabinett versuchte seither die lebendige Demokratie einzuengen. Dies änderte sich erst nach den Parlamentswahlen im November.

Der Gewinner, Likud-Chef Netanyahu, ist ein begabter Politiker, aber auch ein Meister des politischen Ränkespiels. Dadurch hat er sich im Laufe seiner langen Regierungszeit viele Feinde aus seinem konservativ-liberalen Lager gemacht. Einstige Mitarbeiter Netanyahus wie der ehemalige Premier Bennet sowie Ex-Außenminister Liberman hatten mit Sozialdemokraten, Liberalen Arabern, Friedensaktivisten ein breites Bündnis für Verständigung geschmiedet.

Das Kabinett fand weltweit Anerkennung. Die Israelis wurden in Washington, Berlin, Paris, London als Partner freundlich empfangen. Auch gemäßigte arabische Länder knüpften ihre Beziehungen zu Jerusalem enger. Die internationale Akzeptanz und Unterstützung vor allem aus den Vereinigten Staaten, Deutschland und der EU sind für Jerusalem entscheidend. Denn das iranische Regime verkündet offen sein Ziel, „das zionistische Gebilde ... auszulöschen“ und unterstützt Terror-Gruppen.

Der gute Ruf Israels wird ruiniert

Doch Israels guter Leumund geht unter der gegenwärtigen Regierung verloren. Das liegt weniger an den politischen Zielen von Premier Netanyahu, der ein Routinier der internationalen Beziehung ist. Doch seine Koalitionspartner sind ein Albtraum für Israels Ansehen.

Speziell der Ultranationalist und Sicherheitsminister Ben Gvir sowie der religiös-nationalistische Finanzminister Bezalel Smotrich. Beide wollen der Regierung ihre radikalen politischen Standpunkte aufzwingen. Sie lehnen eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern ab, wollen den Bau jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland forcieren, den Kampf gegen den extremistischen palästinensischen Gruppen verschärfen, die Todesstrafe für politische Verbrechen einführen und schließlich aus Israel einen religiös-orthodoxen Staat machen.

Es geht abwärts – auf vielen Ebenen

Das lehnt die überwältigende Mehrheit der säkularen Israelis entschieden ab. Sie wollen ihr Leben wie bislang frei nach ihrer Facon gestalten können. Eine Reihe israelischer Firmen im wichtigem High Tech-Bereich droht damit, ins Ausland abzuwandern, beziehungsweise dort investieren. Die Ratingagentur Moody’s stufte die Bewertung Israels herab. Zion muss also zukünftig mehr für Kredite zahlen. Derweil verliert die Landeswährung Shekel an Wert.

Die demokratischen Verbündeten Israels in Europa und den USA verwerfen die nationalistische Wende Jerusalems. Dies gilt vor allem für die Vereinigten Staaten. Zunächst versuchte Washington, Netanyahu via stiller Diplomatie zu einem Kurswechsel zu veranlassen. Als Jerusalem kaum darauf einging, wurden die USA deutlich. Eine Einladung Netanyahus ins Weiße Haus, quasi ein Ritterschlag durch Washingtons Regierung, blieb aus. Aus Trotz besuchte Netanyahu statt den USA Italien. Dort führt die Georgia Meloni die Regierung. Sie fühlt sich Netanyahus Likud-Partei nahe. Danach erst besuchte der israelische Regierungschef London, Berlin und Paris. Bundeskanzler Scholz kritisierte wie andere europäische Demokraten bei aller Sympathie für Israel die rechten Wende-Vorhaben Jerusalems.

Netanjahu muss seinen Kurs korrigieren

Mit ihrer nationalistischen Politik isoliert sich die israelische Regierung von der Mehrheit der demokratischen Bevölkerung sowie von ihren traditionellen internationalen Partnern. Netanyahu, der gern die Wichtigkeit der Geschichte betont, muss verstehen, dass er die bewährte freiheitliche Richtung fortsetzen muss – um Israels Zukunft zu sichern. Sonst wird er früher oder später abgelöst werden – wie bereits ehedem.

Autor*in
Rafael Seligmann

ist ein deutsch-israelischer Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker.

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