Meinung

50 Jahre nach Willy Brandt: Das sollte die SPD heute für junge Menschen tun

Vor 50 Jahren kündigte Bundeskanzler Willy Brandt mehr Rechte für junge Menschen an. Daran sollte die SPD heute anknüpfen, fordert Johanna Uekermann – und stellt konkrete Forderungen.
von Johanna Uekermann · 28. November 2019
Johanna Uekermann fordert mehr Rechte für junge Menschen.
Johanna Uekermann fordert mehr Rechte für junge Menschen.

Mehr Demokratie wagen“ – für alle und von Anfang an. Kaum ein Satz von ­Willy Brandt ist heute noch so präsent wie dieser aus seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler im Oktober 1969. Er steht symbolisch und wortwörtlich für eine politische Zeitenwende. 50 Jahre später fragen sich viele: Was bedeutet mehr Demokratie wagen in diesen Zeiten? Und gibt es Anknüpfungspunkte für heute? Es wäre vermessen, Willy Brandt Worte in den Mund zu legen. Doch angesichts des gesellschaftlichen Klimas und erschreckender Wahlergebnisse für rechtsextreme Parteien ist es umso mehr an uns, Willy Brandts ­Anspruch mit eigenen Taten zu füllen.

Wahlalter auf 16 senken

Willy Brandt wandte sich 1969 an die „in Frieden nachwachsenden Generationen, die nicht mit den Hypotheken der Älteren belastet sind und belastet werden dürfen“, und kündigte an, das aktive Wahlalter von 21 auf 18 und das passive von 25 auf 21 Jahre zu senken. Er machte deutlich, die Arbeitsweise der Regierung zu öffnen, so dass „jeder Bürger die Möglichkeit erhält an der Reform von Staat und Gesellschaft“ mitzuwirken. Auch heute bedeutet „mehr Demokratie wagen“ deshalb, unsere liberale Demokratie zu verteidigen, weiter zu öffnen und nicht zurückzuweichen, wenn einige wenige dagegen und laut sind. 

Wir brauchen mehr Demokratie, indem wir junge Menschen an Entscheidungen beteiligen und ein Recht auf Mitbestimmung für alle verwirklichen. Wir sollten jetzt den nächsten Schritt gehen und das aktive und passive Wahlrecht auf 16 Jahre senken sowie es für alle öffnen, die dauerhaft hier leben und sich unserer Gesellschaft zugehörig fühlen. Demokratie darf nicht als Pseudo-Beteiligung verstanden werden. Deshalb brauchen wir keine „Parallelgremien“, sondern Mitwirkung an echten Entscheidungen. Selbst wirksam zu sein, selbst Erfahrungen zu sammeln und Verantwortung zu übernehmen, so leben wir Demokratie. Das bedeutet auch, wir brauchen mehr Vertrauen und müssen alle Bereiche für Beteiligung öffnen – Schulen, Hochschulen, Betriebe, Parlamente und die SPD.

Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz

Für Willy Brandt war Bildungspolitik dafür ein zentraler Baustein: „Das Ziel ist die Erziehung eines kritischen, urteilsfähigen Bürgers, der imstande ist, durch einen permanenten Lernprozess die Bedingungen seiner sozialen Existenz zu erkennen und sich ihnen entsprechend zu verhalten.“ Deshalb darf politische Bildung an Schulen nicht länger Nischenthema sein. Es braucht ein eigenes Fach ab der ersten Klasse, Raum für Fragen und Diskussionen und gut ausgebildete Lehrkräfte.

Demokratiebildung findet aber nicht nur an Schulen statt. Es braucht endlich ein Demokratiefördergesetz, das klar an der Seite derjenigen steht, die tagtäglich unsere Werte einer offene Gesellschaft verteidigen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus braucht langfristige und planbare Unterstützung. Die Mittel für Demokratiearbeit, für Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit müssen ausgebaut und verstetigt werden. Kinder- und Jugendverbände sind originäre Orte für Partizipation und Engagement. Sie wirken als Werkstätten der Demokratie.

Ein Viertel aller Armutsgefährdeten unter 25

Willy Brandt war überzeugt: Liberale Demokratie ist ohne soziale Demokratie nicht denkbar. „Mehr Demokratie wagen“ heißt deshalb heute mindestens genauso dringlich wie damals, die materiellen Voraussetzungen für Teilhabe zu schaffen. Armut verhindert politische Teilhabe: Die Betroffenen sind seltener Mitglied in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden und haben öfter das Gefühl, keinen Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Rund ein Viertel, das sind 3,4 Millionen, aller Armutsgefährdeten, ist unter 25! Deshalb braucht es eine Kindergrundsicherung und eine ebenso konsequente Bekämpfung von Jugendarmut.

Auf die Agenda der SPD gehören dafür: eine Ausbildungsgarantie, günstiger Wohnraum, die Abschaffung der Mindestlohnausnahmen und der Sanktionen für unter 25-Jährige, sowie die Einführung eines Bürgergeldes. Zudem müssen junge Erwachsene selbst erarbeitetes Geld behalten dürfen, statt dass es auf die Bedarfsgemeinschaft angerechnet wird. 

„Eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet“

Sehr viele Menschen wollen auch heute „mehr Demokratie wagen“. Sie lassen sich nicht von Rechtsextremen und Reaktionären einschüchtern. Um es mit Willy zu sagen: „Wir können nicht die perfekte Demokratie schaffen.“ Aber: „Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“ Zeigen wir ihnen: Die SPD wagt das auch heute. 

Autor*in
Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann
Johanna Uekermann

Gewerkschafterin und Mitglied des SPD-Parteivorstandes.

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