5 Jahre nach Paris: Aufschwung für Klimaschutz?
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„Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels spürt, und die letzte die etwas dagegen tun kann” – den dringenden Handlungsbedarf, den der damalige US-Präsident Barack Obama in einer Rede 2014 betonte, sehen inzwischen nicht mehr nur Klimawissenschaftler*innen und Aktivist*innen. Allen voran das Pariser Abkommen hat eine weltweite Dynamik entfacht und Klimaschutz ins Zentrum der politischen und gesellschaftlichen Debatte manövriert. Etwa fünf Jahre ist es her, dass die Begriffe COP21 und Pariser Abkommen in aller Munde waren. Nun feiert das Abkommen seinen fünften Geburtstag. Ein Grund zum Feiern?
Klimamaßnahmen beginnen zu wirken
Zum allerersten Mal haben sich 2015 nicht nur die reichsten Industriestaaten, sondern alle Länder der Welt zu einem internationalen, verbindlichen Klimaabkommen bekannt. Das gemeinsame Ziel: die globale Klimaerhitzung auf höchstens 2 Grad Celsius, wenn möglich 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Jedes Land entscheidet selbst, wie viel es dazu beitragen will und muss alle fünf Jahre neue Pläne vorlegen.
Die Kennzahlen sehen zunächst ernüchternd aus: Nur zwei Jahre nach Verabschiedung des Parisabkommens begannen die USA, das Land mit dem weltweit zweitgrößten CO2-Ausstoß, ihren Ausstieg. Die Produktion fossiler Brennstoffe wächst weiterhin jährlich um 2%. Tropische Urwälder werden abgebrannt und niedergewalzt – jedes Jahr, eine Fläche so groß wie Belgien. Statt der nötigen Kehrtwende sehen wir vielerorts „Business as usual“. Laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen stiegen die weltweiten Emissionen in den vergangenen Jahren von 50 Milliarden Tonnen in 2015 auf 55 Milliarden Tonnen in 2019. Allerdings fielen in den G20-Staaten die energiebedingten Emissionen 2019 erstmals leicht um 0,1 Prozent. Die Klimamaßnahmen begannen langsam zu wirken.
Neue Dynamik durch Paris
Weiterhin klafft aber eine gigantische Lücke zwischen Paris-Ziel und Absichtserklärungen zum Klimaschutz, geschweige denn zum tatsächlichen Handeln.
Nach Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung würde der Treibhausgasausstoß in den G7-Staaten mit den bisher ergriffenen Klimamaßnahmen bis 2030 um 5,5 Prozent fallen. Nötig wären aber Reduktionen von 40 bis 50 Prozent, um das Paris-Ziel einzuhalten!
Und dennoch: Das Parisabkommen hat neue Dynamiken entfaltet. Es setzt ein klares Ziel, das zu einem kraftvollen Referenzwert für internationale, europäische und deutsche Klimapolitik geworden ist. Nicht zuletzt ist in den letzten Jahren eine neue internationale, überwiegend aus jungen Menschen bestehende, Klimabewegung entstanden, die das Pariser Klimaabkommen als Bezugspunkt nimmt. Sie erinnern die Politik eindrücklich daran, das einzuhalten, zu dem sie sich verpflichtet hat, nämlich das Pariser Klimaziel. Sie sind die Hüter*innen des Paris-Abkommens.
Die Machbarkeit und die Vorteile der Erreichung des 1,5-Grad-Ziels wurden inzwischen in zahlreichen Studien belegt. Sie zeigen, dass die Verhinderung jedes Zehntel Grads Erderhitzung zählt, um Klimakipppunkte und den unkontrollierbaren Klimawandel zu vermeiden.
Klimaneutralität als entscheidender Faktor
In den vergangenen Jahren hat sich ein neues Konzept etabliert, das zu einem „game changer“ in der Klimapolitik werden könnte: das Ziel der Netto-Null-Emissionen, oder der Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts. Der Treibhausgasausstoß soll so weit wie möglich gegen null reduziert werden. Unvermeidbare Emissionen, z.B. aus der Landwirtschaft oder industriellen Prozessen, sollen durch Entzug aus der Atmosphäre und Speicherung, durch technische Lösungen, oder natürliche Senken wie Wälder und Moore, ausgeglichen werden. Sollten die Großemittenten wie die EU, die USA unter dem zukünftigen Präsidenten Biden, China, Japan, Südkorea oder das Vereinigte Königreich, die sich zu diesem Ziel bekannt haben, dieses Konzept tatsächlich umsetzen, könnte die Weltgemeinschaft damit schon in Schlagdistanz zum Pariser Klimaziel kommen. Die Erhitzung ließe sich auf 2,1 Grad Celsius begrenzen.
Die Diskussionen um Netto-Null-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts haben ein neues Verständnis über Klimapolitik hervorgebracht: Es geht nicht mehr nur um schrittweise Verminderungen des Treibhausgasausstoßes, sondern um tiefgreifende Umstellungen. Der Fokus liegt nicht mehr auf Reduktion, sondern auf Transformation.
Hierzu müssen alle Sektoren beitragen. Dabei wird ambitionierte Klimapolitik oft vor einen scheinbaren Interessenskonflikt gestellt: Einst erfolgreiche Industriezweige würden durch hohe Klimaauflagen bedroht und Jobs stünden vor dem Aus. Auch hier bietet das Parisabkommen ein Konzept, an dem sich die Klimapolitik in den vergangenen Jahren orientiert hat: die just transition, der sozial gerechte Übergang. Das Versprechen, dass der Staat den Wandel nicht einfach geschehen lässt, sondern politisch begleitet und gestaltet und den Menschen (Arbeits-)Möglichkeiten in einer zukunftsfähigen Wirtschaft aufweist und verschafft.
Pandemie ersetzt kein Klimaprogramm
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass ein systematischerer Wandel in allen Bereichen nötig ist. Von der Energieerzeugung, über Verkehr und Industrie, bis zu Wohnen und Landwirtschaft. Denn obwohl Industrie, Verkehr und Handel in weiten Teilen stillstanden, ist der tägliche CO2-Ausstoß im weltweiten Lockdown um lediglich 17 Prozent zurückgegangen und wird schon bald wieder das Vorkrisenniveau erreichen, während tausende wirtschaftliche Existenzen bedroht wurden. Eine Pandemie ersetzt kein Klimaprogramm.
Konjukturpogramme, die gerade überall auf der Welt zur Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise aufgelegt werden, stellen aber eine Chance dar, nachhaltigen Strukturwandel zu unterstützen und die sozial-ökologische Wende weltweit auf eine neue Stufe zu heben. Das europäische Wirtschaftspaket von 750 Milliarden Euro zum Beispiel wird zu mindestens 30 Prozent zu Klimamaßnahmen beitragen.
Damit ist die EU aber nicht aus dem Schneider. Noch rechtzeitig vor Jahresende haben sich die EU-Staats- und Regierungschef*innen auf ein neues EU-Klimaziel für 2030 geeinigt. Um 55 Prozent solle die EU ihre Treibhausgase bis dahin reduzieren. Im Europäischen Parlament werden wir Druck machen, dass das Ziel auf 60 Prozent angehoben wird. Außerdem soll es erstmals ein europäisches Klimagesetz geben, welches das Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 und den Weg dahin rechtlich festschreiben soll. Damit soll sichergestellt werden, dass die Formulierung eines 30 Jahre in der Zukunft liegenden Ziels kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern dass dem auch konkrete Maßnahmen zur Umsetzung folgen (müssen).
Viel in Bewegung, aber noch nicht genug
Das Pariser Klimaabkommen mit seinem klaren Temperaturziel und der Verpflichtung, alle fünf Jahre neue Klimapläne vorzulegen, hat vieles in Bewegung gesetzt: politischen Wettbewerb, um bessere Klimapolitik, wissenschaftliche Erkenntnisse über Machbarkeit und Auswirkungen des Pariser Klimaziels (und dessen Nichterreichung), der Druck der Zivilgesellschaft, Einsichten über den wirtschaftlichen und sozialen Nutzen ambitionierter Klimamaßnahmen, etc. All das beeinflusst und verstärkt sich gegenseitig. Und dass, obwohl, oder gerade, weil das Paris-Abkommen auf Freiwilligkeit beruht und keine Sanktionen für Nichteinhaltung vorsieht. Reicht all das, um zum fünften Jubiläum in Feierlaune auszubrechen?
Nein. Denn noch reicht diese Bewegung nicht, um den Verpflichtungen von Paris wirklich nachzukommen. Aber die Aufwärtsspirale für mehr Klimaschutz kommt gerade erst in Schwung. Diese Dynamik gilt es zu nutzen und weiter Druck zu machen, denn jedes Zehntel Grad zählt!
Dirk Bleicker
ist erste stellvertretende Vorsitzende der Delegation für Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo im Europäischen Parlament.