30 Jahre Friedliche Revolution: Die Ideale von 1989 sind aktueller denn je
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Glücksmomente und Stolz, Aufbau und Erneuerung – Abriss und Ungerechtigkeiten, Frust und Wehmut: Die 30 Jahre seit der Friedlichen Revolution waren ein Wechselbad der Gefühle. Die junge Generation kennt die Zeit vor dem Mauerfall nur aus Erzählungen. Die Älteren verbinden damit allerdings prägende Erinnerungen. Es waren Millionen Menschen in Ostdeutschland, die die Enge des real existierenden Staatssozialismus in der DDR satthatten und den friedlichen Aufbruch wagten.
Unsere Friedliche Revolution in Ostdeutschland war mehr als ein Schritt zur Wiedervereinigung. Sie stand in der Tradition eines europäischen Humanismus. Sie folgte demokratischen Idealen. Und sie setzte auf Versöhnung und nicht auf Spaltung! Sie war Teil einer osteuropäischen Emanzipationsbewegung und ein Aufbruch hin zu einem friedlichen und geeinten Europa.
„Neue“ Bundesländer am Scheideweg
Die Wiedergründung der Sozialdemokratischen Partei am 7. Oktober 1989 in Schwante war ein wesentlicher Impuls für den friedlichen und demokratischen Machtwechsel im Land. Die mutigen Frauen und Männer der ersten Stunde, die in ganz Ostdeutschland die SDP gründeten, haben Geschichte geschrieben. Die Sozialdemokratie hat sich beim Neuaufbau der ostdeutschen Bundesländer große Verdienste erworben. Darauf können wir alle stolz sein!
Nach 30 Jahren politischer Arbeit in den Städten, Gemeinden und Landesregierungen der „neuen“ Bundesländer stehen wir an einem Scheideweg: Wird Ostdeutschland den weltoffenen, demokratischen und humanitären Traditionen der Friedlichen Revolution weiter folgen oder gewinnen rechtspopulistische Kräfte die Oberhand, die unsere demokratischen Werte infrage stellen? Konflikte, die in die Zeit der Wiedervereinigung zurückreichen, spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle und brechen wieder auf. Zu lange dominierte ein westlicher Blick auf das geeinte Deutschland.
Ein neuer Aufbruch ist nötig
Lasst uns erstens darüber sprechen und streiten, wie eine versöhnende Aufarbeitung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbruchs der 90er Jahre aussehen kann. Lasst uns daraus positive Kraft für die Zukunft des Landes gewinnen. Wir brauchen dafür keine Untersuchungsausschüsse, die nur die alten Reflexe bedienen. Wir wollen regionale Gesprächsforen, die Interessierte und Akteure der Wendejahre zusammen bringen. Wir wollen konkrete Aufklärung – nur so können Ungerechtigkeiten benannt und Mythen entkräftet werden.
Zweitens hängen noch heute soziale Unterschiede mit den Folgen der Nachwendezeit zusammen, obwohl mittlerweile 30 Jahre nach der Deutschen Einheit vergangen sind. Viele erfuhren durch Arbeitslosigkeit oder Niedriglöhne die Härten des Kapitalismus. Bis heute gibt es bei vielen das Gefühl der Entwertung der eigenen Lebensbiographie und der Ungerechtigkeit. Zwar sind in ganz Deutsch land Menschen von drohender Altersarmut betroffen, aber im Osten betrifft es mehr Rentnerinnen und Rentner und zudem Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte mit guter Ausbildung, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Deswegen ist eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung für den Osten so wichtig und gerecht. Wir haben darüber hinaus als SPD mit dem Konzept des „neuen Sozialstaats“ Vorschläge vorgelegt, die vor allem dem Osten zugute kämen.
Die Bürger müssen sich einbringen
Drittens brauchen wir einen grundsätzlichen Aufbruch zur demokratischen Erneuerung. Wir brauchen mehr Bürgermacht, damit sich Bürgerinnen und Bürger mitgestaltend und verantwortlich einbringen können.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind die Partei der Deutschen Einheit – wir wollen und müssen diese Themen ernst nehmen. Sie sind keine reinen Ostthemen, sie berühren die Zukunft des ganzen Landes. Wir wollen diesen Prozess mit Stolz, Mut und Begeisterung als Ostdeutsche vorantreiben. Wir werden den Reaktionären Kräften Paroli bieten und für ein starkes und weltoffenes Ostdeutschland einstehen.
Inga Kjer/photothek.net
ist stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen und Ostbeauftragter der SPD.