Meinung

30 Jahre Friedliche Revolution: Die Ideale von 1989 sind aktueller denn je

Die Friedliche Revolution vor 30 Jahren war ein Aufbruch zur Demokratie und zur Einheit. Heute ist beides wieder bedroht durch den immer stärker werdenden Rechtspopulismus. Nötig sind eine Aufarbeitung der Nachwendezeit und eine Versöhnung mit der Vergangenheit.
von Martin Dulig · 16. Oktober 2019
Erinnerung an 1989: 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist ein neuer Aufbruch nötig
Erinnerung an 1989: 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist ein neuer Aufbruch nötig

Glücksmomente und Stolz, Aufbau und Erneuerung – Abriss und Ungerechtigkeiten, Frust und Wehmut: Die 30 Jahre seit der Friedlichen Revolution waren ein Wechselbad der Gefühle. Die junge Generation kennt die Zeit vor dem Mauerfall nur aus Erzählungen. Die Älteren verbinden damit allerdings prägende Erinnerungen. Es waren Millionen Menschen in Ostdeutschland, die die Enge des real existierenden Staatssozialismus in der DDR satthatten und den friedlichen Aufbruch wagten.

Unsere Friedliche Revolution in Ostdeutschland war mehr als ein Schritt zur Wiedervereinigung. Sie stand in der Tradition eines europäischen Humanismus. Sie folgte demokratischen Idealen. Und sie setzte auf Versöhnung und nicht auf Spaltung! Sie war Teil einer osteuropäischen Emanzipationsbewegung und ein Aufbruch hin zu einem friedlichen und geeinten Europa.

„Neue“ Bundesländer am Scheideweg

Die Wiedergründung der Sozialdemokratischen Partei am 7. Oktober 1989 in Schwante war ein wesentlicher Impuls für den friedlichen und demokratischen Machtwechsel im Land. Die mutigen Frauen und Männer der ersten Stunde, die in ganz Ostdeutschland die SDP gründeten, haben Geschichte geschrieben. Die Sozialdemokratie hat sich beim Neuaufbau der ostdeutschen Bundesländer große Verdienste erworben. Darauf können wir alle stolz sein!

Nach 30 Jahren politischer Arbeit in den Städten, Gemeinden und Landesregierungen der „neuen“ Bundesländer stehen wir an einem Scheideweg: Wird Ostdeutschland den weltoffenen, demokratischen und humanitären Traditionen der Friedlichen Revolution weiter folgen oder gewinnen rechtspopulistische Kräfte die Oberhand, die unsere demokratischen Werte infrage stellen? Konflikte, die in die Zeit der Wiedervereinigung zurückreichen, spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle und brechen wieder auf. Zu lange dominierte ein westlicher Blick auf das geeinte Deutschland.

Ein neuer Aufbruch ist nötig

Lasst uns erstens darüber sprechen und streiten, wie eine versöhnende Aufarbeitung des wirtschaftlichen, sozia­len und kulturellen Umbruchs der 90er Jahre aussehen kann. Lasst uns daraus positive Kraft für die Zukunft des Lan­des gewinnen. Wir brauchen dafür keine Untersuchungsausschüsse, die nur die alten Reflexe bedienen. Wir wollen regio­nale Gesprächsforen, die Interessierte und Akteure der Wendejahre zusammen­ bringen. Wir wollen konkrete Aufklä­rung – nur so können Ungerechtigkeiten benannt und Mythen entkräftet werden.

Zweitens hängen noch heute soziale Un­terschiede mit den Folgen der Nachwen­dezeit zusammen, obwohl mittlerweile 30 Jahre nach der Deutschen Einheit vergangen sind. Viele erfuhren durch Ar­beitslosigkeit oder Niedriglöhne die Här­ten des Kapitalismus. Bis heute gibt es bei vielen das Gefühl der Entwertung der eigenen Lebensbiographie und der Unge­rechtigkeit. Zwar sind in ganz Deutsch­ land Menschen von drohender Alters­armut betroffen, aber im Osten betrifft es mehr Rentnerinnen und Rentner und zudem Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte mit guter Ausbildung, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Deswe­gen ist eine Grundrente ohne Bedürftig­keitsprüfung für den Osten so wichtig und gerecht. Wir haben darüber hinaus als SPD mit dem Konzept des „neuen Sozialstaats“ Vorschläge vorgelegt, die vor allem dem Osten zugute kämen.

Die Bürger müssen sich einbringen

Drittens brauchen wir einen grund­sätzlichen Aufbruch zur demokratischen Erneuerung. Wir brauchen mehr Bürger­macht, damit sich Bürgerinnen und Bür­ger mitgestaltend und verantwortlich einbringen können.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozial­demokraten sind die Partei der Deutschen Einheit – wir wollen und müssen diese Themen ernst nehmen. Sie sind keine rei­nen Ostthemen, sie berühren die Zukunft des ganzen Landes. Wir wollen diesen Prozess mit Stolz, Mut und Begeisterung als Ostdeutsche vorantreiben. Wir werden den Reaktio­nären Kräften Paroli bieten und für ein starkes und weltoffenes Ostdeutschland einstehen.

Autor*in
Martin Dulig
Martin Dulig

ist stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen und Ostbeauftragter der SPD.

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