Meinung

25 Jahre Kyoto-Protokoll: Die erste Schlacht ist schon verloren

Vor 25 Jahren wurde mit dem Kyoto-Abkommen erstmals ein Konzept für ein weltweites Klimaregime beschlossen. Was danach geschah zeigt, wie schwer das grundsätzliche Umdenken ist, soll unser Planet lebenswert bleiben.
von Michael Müller · 11. Dezember 2022
Unzureichend, um auf unserer übervollen Erde eine Antwort auf die Klimakrise zu geben: Vor 25 Jahren wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen.
Unzureichend, um auf unserer übervollen Erde eine Antwort auf die Klimakrise zu geben: Vor 25 Jahren wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen.

Der Ausgangspunkt für die internationale Klimadiplomatie war die Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, die im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfand. Vor 30 Jahren kamen in der brasilianischen Metropole die Regierungschef*innen aus 178 Staaten zusammen, um über die Welt im 21. Jahrhundert zu beraten. Im Mittelpunkt des Erdgipfels, wie die Konferenz seitdem genannt wird, stand das Konzept für eine Nachhaltige Entwicklung, das zusammen mit der Nord-Süd-Zusammenarbeit und der Gemeinsamen Sicherheit als dritte Säule einer Weltinnenpolitik gesehen werden sollte.

Aber leider war Rio nur der Höhepunkt einer politischen Verantwortungsethik, die maßgeblich von den sozialdemokratischen Politikern Willy Brandt, Olof Palme und Gro Harlem Brundtland geprägt wurde. Diese „europäischen Ideen“ verloren in der globalen Welt wieder an Bedeutung, obwohl sie heute noch wichtiger sind als in ihrer Entstehungszeit. Auch die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die Klimakrise in den Hintergrund gedrängt, obwohl sie die bei weitem größte globale Herausforderung ist.

Eine völkerrechtliche Basis für den globalen Klimaschutz

Seit Ende der 1970er Jahre gibt es verstärkte Anstrengungen der UNO zum Klimaschutz, insbesondere mit der Gründung des Weltklimarates (IPCC). Schon 1979 hatte der amerikanische Forschungsrat gewarnt, dass eine Verdoppelung der wärmestauenden Treibhausgase zu einer globalen Erwärmung um drei Grad Celsius führen würde. Auf dem Erdgipfel von Rio wurde deshalb neben der Rio-Deklaration und der Agenda 21 die Klimarahmenkonvention (UNFCC) verabschiedet. Ihr Ziel ist die schnelle Reduktion der Treibhausgaskonzentration in der unteren Atmosphäre, um sie auf einem Niveau zu stabilisieren, das Mensch und Natur auf Dauer schützt. Doch die Hälfte des bereits vor 43 Jahren errechneten Wertes wird im nächsten Jahr erreicht und damit der Wert für eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius.

Aktuell haben 196 Vertragsparteien inklusive der EU die Konvention ratifiziert und damit die völkerrechtliche Basis für den globalen Klimaschutz gelegt. Offiziell trat die Vereinbarung 1994 in Kraft. Damit erkannte die internationale Staatengemeinschaft die Klimakrise als erstrangiges Problem für die Menschheit an. Doch bis heute gibt es keinen wirklichen Durchbruch beim Klimaschutz. Im Gegenteil: Die Kohlendioxid-Emissionen sind heute doppelt so hoch wie 1992, denn es dauerte lange, bis es zu verbindlichen Vereinbarungen kam, die aber bis heute weit hinter dem Notwendigen zurückblieben.

Eine Schlüsselrolle für Russland

Auf der Basis des Klimarahmenkonvention treffen sich seit 1995 die Vertragsstaaten jährlich zu einer Conference of Parties (COP). Die COP 1 beschloss das „Berliner Mandat“, auf der COP 3, also zwei Jahre später im japanischen Kyoto, das Konzept für ein erstes weltweites Klimaregime vorzulegen. Das „Kyoto-Protokoll“ wurde vor 25 Jahren verabschiedet. Es sah vor, dass die im Annex 1 genannten 41 (Industrie-) Staaten ihre Emissionen in einer ersten Verpflichtungsperiode von 2008 bis 2012 um 5,2 Prozent gegenüber 1990 senken müssen. Das wurde nicht erfüllt. Schon die erste Schlacht um das Klima ging verloren, wirtschaftliches Wachstum war für die Staaten wichtiger als der Schutz des Klimasystems, von dem menschliches Leben abhängt.

Noch auf der COP 9, die 2003 in Mailand stattfand, war das Kyoto-Protokoll nicht in Kraft getreten. Erst 119 Staaten hatten die Vereinbarung in nationales Recht umgesetzt. Diese Länder waren für 47 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich, notwendig waren nach den Kyoto-Vorgaben aber 55 Prozent. In den USA, dem damals noch größten Klimasünder der Welt, war Präsident Bill Clinton im Kongress gescheitert, obwohl der Kyoto-Vertrag vom „Grandfathering-Prinzip“ ausgeht, das auf amerikanischen Druck nicht das UN-Gleichheitsprinzip bei der Emissionsreduktion verfolgt, sondern den Industrieländern höhere Budgets einräumt. In dieser verfahrenen Situation nahm Russland eine Schlüsselrolle ein. Ende 2004 ratifizierte die Duma das Protokoll. Die 55 Prozent wurden erreicht. Am 16. Februar 2005 trat das Kyoto-Protokoll in Kraft.

Weit hinter dem Notwendigen zurück

Auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) im Dezember 2015 wurde ein neues Übereinkommen verabschiedet, das im November 2016 in Kraft trat. 191 der heute 197 der Klimarahmenkonvention beigetretenen Staaten verpflichteten sich, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau, zu begrenzen. Aber wie soll das erreicht werden? Für die Umsetzung lagen in Paris nationale Selbstverpflichtungen vor, die weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Bei ihrer Umsetzung käme es – je nach Annahme der Wahrscheinlichkeiten – zu einer Erwärmung um 2,8 bis 3,2 Grad Celsius. Der tatsächliche Klimaschutz bleibt aber selbst hinter diesen unzureichenden Vorgaben weit zurück. Die Welt steuert immer schneller auf die 3 Grad Celsius zu.

25 Jahre Kyoto-Protokoll zeigen, wie schwer das grundsätzliche Umdenken ist, um das es bei der Einstellung des planetaren Thermostats geht, für die es keinen Prototypen gibt. Der Klimaschutz macht die ökologischen Grenzen des Wachstums deutlich. Grenzen, die unbedingt eingehalten werden müssen, soll unsere Erde, die in den letzten 12.000 Jahren zur Heimat unserer Zivilisation wurde, menschliches Leben weiter möglich machen. Die endgültige Warnung wurde von der Weltgesellschaft für Geologie bereits gefällt.

Die Hoffnung, dass die Märkte und der technische Fortschritt von sich aus uns in eine Post-CO2-Wirtschaft führen, ist eine Illusion, die wir bereits mit drei verlorenen Jahrzehnten bezahlt haben. Davon ging aber auch die Kyoto-Diplomatie aus. Sie ist unzureichend und reicht nicht aus, um auf unserer übervollen Erde eine Antwort auf die Klimakrise zu geben. Noch jedenfalls gibt es kein Umdenken, das die eigenen Interessen zugunsten einer aufgeklärten Solidarität hintanstellt und mehr Gerechtigkeit in der Verteilung der Lebenschancen verwirklicht. Doch darum geht es.

Autor*in
Michael Müller

war Sprecher der SPD in der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages und ist Bundesvorsitzender der NaturFreunde.

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