Meinung

2015 muss sich wiederholen

Seit die Türkei ihre Grenze zu Griechenland geöffnet hat und wieder mehr Geflüchtete Richtung Europa drängen, wird ein Ruf laut: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Dabei steht das Jahr als Sinnbild für eine solidarische und menschliche Gesellschaft, wie wir sie uns wünschen.
von Nazan Komral · 20. März 2020
Eine solidarische und menschliche Gesellschaft: Frewillige verteilen Anfang September 2015 am Frankfurter Hautpbahnhof Lebensmittel an ankommende Geflüchte.
Eine solidarische und menschliche Gesellschaft: Frewillige verteilen Anfang September 2015 am Frankfurter Hautpbahnhof Lebensmittel an ankommende Geflüchte.

Seit der Öffnung der türkischen Grenze fliehen Menschen Richtung Griechenland. Seitdem wird eine Forderung immer lauter: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Dieser Satz hat einen sehr bitteren Beigeschmack. Die Warnung vor einer erneuten „Flüchtlingskrise“ soll verunsichern und Angst schüren. Es handelt sich um die Sprache rechter Parteien und ist Nährboden für Hass und Vorurteile.

Die meisten Asylsuchenden fliehen vor Krieg, Gewalt und Not aus ihrem Heimatland. Sie suchen nach Schutz. 2015 waren die meisten Bundesbürger der Überzeugung, dass geflüchtete Menschen ein Anrecht auf unseren Schutz und unsere Solidarität haben. Inzwischen haben einige von ihnen ihre Meinung geändert. Warum? Öffentliche Hetze und falsche Informationen, die von den Medien zum Teil unkontrolliert übernommen werden, sowie eine generelle Unzufriedenheit in der Bevölkerung sind der Hauptgrund für diesen Wandel.  Doch an der Not der Menschen, die zu uns kommen, hat sich seit 2015 nichts geändert.

Niemand musste auf etwas verzichten

Lassen wir 2015 doch einmal Revue passieren: Für uns in Deutschland war die große „Flüchtlingskrise“ vor allem eines: ein großartiges Beispiel für Menschlichkeit, Zusammenhalt, Solidarität und auch ein bestmögliches Krisenmanagement von vielen ehrenamtlichen und kirchlichen Vereinen und Organisationen. Es stimmt, unsere Behörden waren zum Teil überfordert. Es stimmt ebenfalls, dass es nur wenig Platz gab. Und ja, es stimmt auch, dass die große Anzahl der Geflüchteten unvorhergesehen Geld gekostet hat. Aber sind wir doch mal ehrlich: Wer von uns musste denn deshalb auf etwas verzichten?

Alles in allem waren wir damals der Meinung und sind es heute auch: Ein wirklicher Verzicht auf unsere gewohnte Art zu leben existiert nicht. Im Gegenteil, eher noch wurden und werden wir durch die Aufnahme von in Not geratenen Menschen und deren Vielfalt um so vieles bereichert. Flaniert man heutzutage durch die deutschen Städte, wird man angelockt von neuen Gerüchen, die aus den multinationalen Restaurants dringen, lernt man eine andere Mode aus den neu bestückten Schaufenstern kennen, erlebt in Bars und Cafés neue Musik. So etwas hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben. Was unser Herz besonders erfreut, sind die Jugendclubs, in denen deutsche Kinder zusammen mit den Kindern unserer neuen Mitbürger Sport machen, Nachhilfekurse besuchen und Freundschaften schließen.

In der Not zusammengestanden

Das Jahr 2015 hat uns neue Wege für ein vielfältiges und tolerantes Miteinander aufgezeigt. Wir haben die vielen traumatisierten Menschen mit offenen Armen willkommen geheißen und es wurde uns gedankt mit ehrlicher und aufgeschlossener Eigenleistung, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Die meisten der damals eingereisten Flüchtlinge sind heute in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Das war nur möglich durch unsere großartige Willkommenskultur, auf die wir sehr stolz sein dürfen.

Wir haben in der Not zusammengestanden und gehandelt, ohne große Fragen zu stellen. Wir haben unbürokratisch Sprachkurse oder Mitgliedschaften in Vereinen organisiert, lange bevor das BAMF und die Ausländerbehörden und Ministerien der Länder auf die große Anzahl der Geflüchteten reagieren konnten. Das Ergebnis ist, dass wir eine neue Generation von Menschen in unserer Gesellschaft aufgenommen haben, die vor allem langfristig eine Zukunft innerhalb unserer Solidargemeinschaft planen.

Willkommenskultur statt Abschottung

Leider haben gerade zu dieser Zeit unsere Behörden an vielen Stellen versagt, ebenso hat die Politik durch falsche oder gar keine Kommunikation erst für Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung gesorgt und so den Nährboden für Hetze und offenen Hass bis hin zu taubloser Gewalt geschaffeen, wie jüngst die Ereignisse in Hanau belegen. Es ist für uns zermürbend zu beobachten, dass sowohl unsere als auch die Regierungen der Europäischen Union ihre Fehler von 2015 hauptsächlich dahingehend korrigieren, dass sie auf Abschottung und Abschiebungen bauen.

Nicht die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Deutschland und Europa ist aber unser Problem, sondern die Duldung und Bestärkung von Faschisten und deren Vertretern, die dem geordneten Lauf der Dinge keine Chance geben und somit unserer Gesellschaft und den Menschen in Not ein friedliches und harmonisches Zusammenwachsen verwehren.

Für uns ist heute jedenfalls eines klar: Das Jahr 2015 ist das Symbol für eine solidarische und menschliche Gesellschaft, wie wir sie uns wünschen. 2015 muss sich  deshalb wiederholen! #Refugees welcome

Autor*in
Nazan Komral

ist Mitglied im Bundesvorstand der AG Migration und Vielfalt.

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