Meinung

15 Jahre Schuldenbremse: Warum eine Reform die Demokratie stärken würde

Vor 15 Jahren wurde die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, aus guten Gründen. Heute verhindert sie schnelle und nachhaltige Lösungen für Deutschlands Probleme, meint der Ökonom Gustav Horn. 

von Gustav Horn · 17. April 2024
Demonstrant*innen kritisieren die Schuldenbremse

In der Gesellschaft mehren sich Stimmen, die einen Abschied von der Schuldenbremse fordern. So wie hier bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin.

Es geschah vor 15 Jahren. Der Bundestag verabschiedete mit einer Zweidrittel-Mehrheit, die im Kern aus CDU/CSU und der SPD bestand, eine Änderung des Grundgesetzes, die den Bundes- und Landesregierungen grundsätzlich verbot, in nennenswertem Umfang Kredite aufzunehmen. Bundesländer dürfen sich im Prinzip überhaupt nicht verschulden. Ausnahmen gelten in eng begrenztem Umfang  mit rascher Tilgungspflicht nur in ausgeprägten konjunkturellen Schwächephasen und in Notlagen. Die Schuldenbremse war geboren. 

Die Erleichterung bei der Mehrheit war seinerzeit groß. Gab es doch von Anfang an vor allem in der SPD heftigen Widerstand, auch vom Autor dieser Zeilen. Der Kern des Streits, jenseits aller nerdigen ökonomischen Details, ging um die Frage: Wo sind die Grenzen demokratischer Wirtschaftspolitik? 

Die Mehrheit war der Meinung, dass sie dort liegen, wo heutige Entscheidungen künftige Generationen belasten könnten. Schulden galten als klassisches Beispiel hierfür. Die durch sie finanzierten Ausgaben kämen nur der aktuellen Generation zugute, während die künftige Zinsen und Tilgung hierfür aufbringen muss.  

Überhaupt bestehe in der Finanzpolitik der Anreiz, in der Gegenwart „Wohltaten“ zu gewähren, die erst in der Zukunft zu bezahlen wären. Das Ergebnis wäre ein ständig wachsender Schuldenberg mit anschließender Verschuldungskrise.  

„Politiker*innen ignorieren langfristige Folgen ihres Handelns“

Hinter diesen Überlegungen steckt ein tieferes Problem, das in der Ökonomie Zeitinkonsistenz genannt wird. Dies besagt im Grunde, dass die Amtszeit von Politiker*innen nicht notwendigerweise mit der Dauer der Wirksamkeit ihrer wirtschaftspolitischen Beschlüsse übereinstimmt. Das verführe sie zu kurzfristigem Handeln, bei dem sie die längerfristigen Folgen ihres Tuns ignorieren. Deshalb müsse der zeitliche Handlungsraum der Politik möglichst hart beschränkt werden. 

Heute, 15 Jahre mit mehreren schweren Krisen, einer maroden Infrastruktur und einem harschen Verfassungsgerichtsurteil später, sieht die Welt anders aus. Die Schuldenbremse steht in der Kritik, die Wirtschaftspolitik in einer Weise zu einzumauern, die die Stabilität der Wirtschaft gerade in diesen konfliktträchtigen Zeiten des Wandels massiv gefährdet.  

Tatsächlich zerschellen gerade die Hoffnungen, die mit der Schuldenbremse verbunden wurden, an ihren inneren und äußeren Widersprüchen. Der innere Widerspruch ist, dass die Rationalität der Schuldenbremse dumme Politiker*innen und noch dümmere Bürger*innen impliziert. Erstere sind dumm, weil sie mögliche Wahlerfolge höher gewichten als die negativen Folgen einer Verschuldungskrise, deren Folge sie entweder im Amt zu bekämpfen hätten, wenn sie nämlich mit dieser Strategie erfolgreich wären. Oder aber, wenn abgewählt oder ausgeschieden, als Bürger zu erdulden hätten. 

Tiefes Misstrauen gegenüber demokratischen Abläufen

Noch dümmer sind nur die Bürger*innen, die solche Politiker*innen auch noch wählen, obwohl die negativen Folgen für sie absehbar sind. Dies ist ein Blick auf den politischem Prozess, der von tiefem Misstrauen gegenüber demokratischen Abläufen geprägt ist. 

Das alles passiert zu einer Zeit, die massive Investitionen in Veränderungen erfordert. Die aktuellen Debatten seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigen, dass dies mit einer Schuldenbremse in ihrer gegenwärtigen Form nicht oder viel zu langsam möglich sein dürfte. 

Dabei wäre es nur gerecht und auch ökonomisch sinnvoll, mindestens einen Teil der notwendigen Ausgaben über Schuldenaufnahme zu finanzieren. Es ist gerecht, weil so auch künftige Generationen, die am meisten von diesen Investitionen profitieren werden, ebenfalls zu ihrer Finanzierung beitragen. 

Es ist ökonomisch sinnvoll, weil mit der Möglichkeit verstärkter Schuldenaufnahme langfristige Investitionspakete auf den Weg gebracht werden könnten, die Investor*innen mehr Sicherheit geben würden und bei den Bürger*innen die fühlbare Erwartung einer sich wiederverbessernden Infrastruktur hervorrufen könnten. Die Schuldenbremse steht im Widerspruch zu den Herausforderungen unserer Zeit. 

Erzwungene Zögerlichkeit bei Investitionen

Das Misstrauen gegenüber demokratischer Politik und die erzwungene Zögerlichkeit, in den notwendigen Wandel zu investieren, sind nicht nur Gift für die Wirtschaft, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nicht zu handeln kann gleichfalls Folgen haben, die weit über die Amtszeiten von Politiker*innen hinausreichen. Die Infrastruktur lässt grüßen. 

Nach 15 Jahren ist die Zeit gekommen, die Konsequenz aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Die Schuldenbremse muss reformiert werden. So hat es die SPD auf ihrem Parteitag auch beschlossen.  

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Do., 18.04.2024 - 06:56

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Blick auf das Grundgesetz und die Rechtsprechung des BVG muss aber wohl erstmal klargestellt werden, dass die zu berücksichtigenden Interessen der nachkommenden Generationen nur in Bezug auf die Ökologie und das 1,5 Grad-Ziel gelten, und nicht auf die Währungsstabilität. Da liegt der Hase noch im Pfeffer, und das muss geändert werden, danach haben wir dann freie Bahn für die Verwendung gedruckten Geldes und könnten herrlichen Zeiten entgegengehen . Wir sollten alles daran setzen, das GG so zu ändern dass das BVG keine Chance mehr hat, die Folgegenerationen auch bei der Währungsstabilität argumentativ so zu bemühen, wie bei der 1;5 Grad Sache