Kultur

Zwischen Genie und Wahnsinn

von Martin Leibrock · 14. November 2009
placeholder

Die Lektüre beweist wieder einmal: Fidel Castro bewegt sich zwischen zwei Extremen, Genie und Wahnsinn. Es handelt sich dabei um sein Plädoyer, das er in der vorletzten Gerichtsverhandlung am 16. Oktober 1953 hielt. Wegen des Angriffs auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba und auf die Kaserne Carlos Manuel des Cespedas in Bayamo saß Castro mit anderen Beschuldigten auf der Anklagebank. Unter seiner Führung hatte die Rebellengruppe am 26. Juli einen Schlag gegen den Despoten Batista geplant, der sich ein Jahr zuvor selbst mit einem Putsch an die Spitze Kubas gebracht hatte. Der Journalist Volker Skierka bewertete die Attacken als "dilettantisch". Weiterhin schreibt er in seinem Nachwort: "Es waren selbstmörderische Himmelfahrtskommandos einer Truppe junger Männer und Frauen".

Im Hinterkämmerchen verurteilt

Der Leser mag die Aktion der Gruppe um Fidel Castro deuten wie Skierka - oder auch nicht , anders wird er dagegen die Rede des "Máximo Líders" einzuordnen haben. Diese zeugt von dem außergewöhnlichen rhetorischen Geschick, das später zum Markenzeichen dieser schillernden Politfigur werden wird. Gleich zu Beginn seine Apologie rügt er die erschwerten Haft- und Verfahrensbedingungen. Dazu stellt er fest: "Ich soll zum Schweigen gebracht werden, niemandem soll zu Ohren kommen, was ich zu sagen habe." Der Ausschluss der Öffentlichkeit, der Versuch ihn als verhandlungsunfähig einzustufen sowie die Verteidigung eines Verteidigers sind tatsächlich schwerwiegende Vorwürfe, die Zweifel aufkommen lassen, ob er überhaupt Angeklagter in einem fairen Prozess ist. Geradezu bescheiden fällt sodann seine Forderung an die Richter aus, dass wenigstens sein Recht, sich vollkommen frei ausdrücken zu dürfen, doch respektiert werden sollte.

Auch wenn Castro eine juristische Vorbildung an der Universität in Havanna genoss, ist es beeindruckend, mit welcher Fertigkeit er die Anschuldigungen locker abwehrt. "Für den Moment werde ich mich auf ein juristisches Geplänkel mit ihm beschränken, um die Nichtigkeiten aus dem Weg zu räumen und das Feld für den großen Angriff frei zu machen - den Angriff gegen die Lüge, die Falschheit, die Heuchelei, den Konformismus und die moralische Feigheit (...)". Der Umstand, dass er während des Prozesses, der nicht einmal in einem Gerichtssaal, sondern abseits in einem kleinen Raum in einem Krankenhaus stattfand, gerade einmal Mitte zwanzig ist, macht die Rede nur noch imposanter. Schließlich gelingt es ihm, die Anklage gegen sich in eine gegen Batista umzudrehen. "Die Kläger wurden zu Angeklagten und die Angeklagten zu Klägern. (...) vielmehr wurde das endgültige Urteil über einen gewissen Herrn Batista gesprochen."

Was die Rede unvergesslich macht

Worauf es dem jungen und späteren Staatschef Kubas in seiner Verteidigung letztlich ankommt, sagt er selbst: "Es wird über fundamentale Fragen debattiert, es wird über das Recht des Menschen, frei zu sein, geurteilt, und es wird über die gemeinsamen Grundlagen unserer Existenz als freies und demokratisches Land verhandelt." Er entwickelt fünf Revolutionsgesetze, die helfen sollen die sechs dringendsten Probleme des Staates Kuba zu lösen. Seine Rede erhebt sich so zu einem programmatischen Manifest im Sinne einer rechtlichen, moralischen, philosophischen und politischen Rechtfertigung des revolutionären Kampfes gegen die Tyrannei. Damit gehört sie zu den wichtigsten politischen Reden des vergangenen Jahrhunderts. Dass sie nicht in Vergessenheit geriet, dafür dürften weitere Umstände verantwortlich sein. Zum einen das von ihm en detail geschilderte und in der Öffentlichkeit große Empörung auslösende Massaker in der Moncada-Kaserne, bei der die Soldaten die Gefangenen "abschlachteten". Zum anderen aber auch die Tatsache, dass Fidel Castro fünfeinhalb Jahre später als Sieger in Santiago de Cuba einzog.

Bei aller Begeisterung, die die Verteidigungsrede auslösen dürfte, zeigt ein Rückblick dennoch, wie wenig es auch dem wortgewandten Staatschef gelungen ist, seine Vorsätze in die Realität umzusetzen. Mehrmals sprach er von Reformen, die zwingend nötig seien, um demokratische Staatsformen zu etablieren. In keinem Satz erwähnt er hingegen Begriffe wie Marxismus oder Sozialismus. Heute wissen wir jedoch, dass Kuba sich unter Fidel Castros 50-jähriger Regentschaft zum Sozialismus entwickelt hat. Weder wurde je eine demokratische Wahl durchgeführt noch hat er sein Versprechen eingelöst, die Verfassung von 1940 wieder in Kraft zu setzen.

Die vorliegende Rede besticht letztlich aufgrund des wortgewaltigen Gegenschlags, zu dem der "Máximo Líder" ausholt und mit er den Leser geradewegs mit auf die Anklagebank zieht. Im Sog mächtiger Worte erlebt dieser so ein Stück Zeitgeschichte, entweder als Ankläger oder aber als Kläger, sofern er sich von Worten alleine nicht beeindrucken lässt.

Martin Leibrock

Fidel Castro: "Die Geschichte wird mich freisprechen" Aus dem Spanischen von Barbara Köhler, Rotbuch Verlag, 9,90 Euro, ISBN 978-3-86789-061-8

Hier bestellen...

0 Kommentare
Noch keine Kommentare