Kultur

Zum Tode von Lenka Reinerová

von Vera Rosigkeit · 11. Juli 2008
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Von Gisbert Kuhn



Einer, nicht zuletzt literarischen, Hoch-Zeit, wie sie wahrscheinlich nur in dem intellektuellen jüdisch-deutsch-tschechischen Gemenge an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert in der Moldau-Metropole möglich war. "Es kafkat, es werfelt, es brodelt und kischt" - mit Merksätzen wie diesem verbindet man auch heute noch gern die Stadt mit Autoren wie Franz Kafka, Franz Werfel, Max Brod und dem "Rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch.



In Wahrheit waren sie natürlich noch viel zahlreicher - jene, die in den Literaten-Cafés von Prag vor und nach dem 1. Weltkrieg tranken und stritten und bleibende Werke schrieben. Und es wurden noch mehr, als 1933 Deutschland dem Ungeist verfiel. Prag war damals das Zentrum geistiger Hoffnung und Freiheit. Und mittendrin eine junge Frau namens Lenka Reinerová - Mutter Deutsche, Vater Tscheche, Religion jüdisch. Typisch böhmisch, halt. Dass sie frühzeitig mit der Arbeiterbewegung in Berührung kam, mag noch ein Zufall gewesen sein. Ihr sozialistisches, später kommunistisches Engagement hingegen hing mit den Menschen zusammen, mit denen sie in jenen 30-er Jahren das Leben und die politische - das hieß antifaschistische - Überzeugung teilte. Viele davon (so auch ihr späterer Ehemann, der deutsch-jugoslawische Arzt und Schriftsteller Theodor Balk) kämpften während des spanischen Bürgerkriegs in den Internationalen Brigaden.



Im Prag kam die Reinerová in Kontakt mit aus Deutschland geflohenen Sozialdemokraten, hier half sie beim Redigieren und im Vertrieb des Exil-"Vorwärts". Hier fand sie Zugang zum Journalismus in der "Arbeiter Illustrierten Zeitung" von Franz Carl Weiskopf, mit dem sie später das mexikanische Exil teilte, der nach dem Krieg erster tschechoslowakischer Botschafter in Peking wurde und 1953 als Schriftsteller in die DDR wechselte. Als 1938 die Wehrmacht in die CSR einmarschierte und Hitler das "Protektorat Böhmen und Mähren" verkündete, befand sich die junge Frau zu ihrem Glück gerade in Budapest und konnte nach Paris fliehen. Verhaftung, Gefängnis, Frauenlager in Südfrankreich, Casablanca - die Schilderung der Wege in die Sicherheit von Mexiko würde dicke Bände füllen.



Was ist, im Verlauf eines solchen Lebens, aus den einstigen politischen Überzeugungen geworden? Noch Mitte der 80-er Jahre wich Lenka Reinerová aus, wenn das Gespräch auf die Nachkriegszeit und z. B. die gespenstischen Schauprozesse kam, denen auch langjährige Weggefährten von ihr zum Opfer fielen. Auch sie und ihr Mann hatten damals (wie erneut nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968) Schreibverbot erhalten. Erst nach der "Wende" Anfang der 90-er Jahre begann sie langsam, in ihren Büchern jene Epoche aufzuarbeiten. Für sich und in Erinnerung an die einstigen Freunde. Als sie 90 wurde, äußerte sie einmal die Hoffnung "dass etwas von unseren Erfahrungen bleiben möge". Das wollte sie auch im Januar in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag anlässlich der Befreiung des KZ Ausschwitz überbringen. Da aber war sie schon sehr krank, und die Rede musste verlesen werden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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