Kultur

Zum Tod von Jürgen Flimm: Ein Leben für das Theater

Schauspieler, Regisseur, Theater- Opernintendant: Es gab nichts, das Jürgen Flimm am Theater nicht gemacht hätte. Am 4. Februar ist die Theaterlegende im Alter von 81 Jahren gestorben.
von Carsten Brosda · 6. Februar 2023

Die Theaterlandschaft ist reich an starken und beeindruckenden Charakteren. So jemanden wie Jürgen Flimm aber gab es kein zweites Mal.  Er lebte ein Leben für die Bühne. Wenn er anfing, vom Theater zu erzählen, sich von Anekdote zu Anekdote hangelte, dann merkte man schnell: Hier brennt jemand für diese Kunstform. Hier will uns jemand daran erinnern, welch Geschenk es ist, spielen zu dürfen. Wenn jetzt Weggefährtinnen und -gefährten von ihren Erlebnissen mit Jürgen Flimm berichten, dann leuchten die Augen und man hört beinahe, wie sie beim Sprechen lächeln.

Olaf Scholz würdigt Flimms Zuversicht und Humor

Vielleicht lag das auch an Flimms rheinischen Naturell. Er wurde zwar in Gießen geboren, ist aber in Köln aufgewachsen. Und es war ihm nicht gegeben, die Dinge allzu ernst zu nehmen. Er lebte das Theater, aber wollte es nicht überhöhen, sondern seine Leichtigkeit transportieren. Schließlich war die Realität doch schon schwer genug, da durfte man auf der Bühne ruhig auch mal in andere Welten entführen, dem Publikum einen kleinen Traum ermöglichen und die Botschaft so verpacken, dass sie gerne entgegengenommen wurde.

Olaf Scholz hat unmittelbar nach der Nachricht von Jürgen Flimms Tod dessen Zuversicht und Humor gewürdigt. Und er hat Recht. Flimm hatte den Schalk im Nacken, wusste um die subversive Kraft des Lachens und darum, dass auch die komische Seite unserer Existenz erzählt gehört. Er hat als Regisseur unvergessliche Theatererlebnisse geschaffen und mit unbändiger Kreativität und hinreißender Erzählfreude bedeutende künstlerische Spuren hinterlassen. Andere Künstlerinnen und Künstler hat er gefördert und angespornt, Netzwerke geknüpft und Kreative zusammengenbracht.

Wenn dann andere – wie zum Beispiel Robert Wilson und Tom Waits am Hamburger Thalia Theater – künstlerisch noch heller leuchteten als er selbst, war er zufrieden. Natürlich war er sich als Intendant der Macht dieser Position bewusst, aber er blieb immer ein bisschen auf Distanz zu den vermeintlichen Insignien der Theaterleitung. An seinen Häusern, so war es immer wieder zu hören, förderte er ein gutes Betriebsklima, suchte die Nähe auch der Werkstätten, der Technik und des Vorderhauses, blieb nahbar und ansprechbar für alle, die mit ihm dafür sorgten, dass am Abend zur Vorstellung der Lappen hochging.

Half 1998 das Amt des Kulturstaatsministers zu erfinden

Anderen Menschen begegnete Jürgen Flimm grundsätzlich mit großer Empathie und Herzlichkeit. Man spürte in einem Raum immer, wo er sich befand. Denn da war meistens eine kleinere oder größere Ansammlung um ihn herum und ließ sich unterhalten. Ihm wurde das nicht lästig, er genoss es. Schließlich ist Kunst immer auch Kommunikationsanlass. Warum sollte man das alles machen, wenn man hinterher nicht davon berichten kann…? Als öffentlicher Intellektueller hat sich Jürgen Flimm auch über die jeweiligen Projekte und Häuser hinaus mit Leidenschaft für die Kunst und Kultur in unserem Land eingesetzt.

Er wollte nicht bloß mit den eigenen Werken Aufmerksamkeit erreichen, sondern hatte durchaus Spaß daran, die Debatte zu prägen. Als enger Berater und Freund des damaligen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder hat er 1998 mitgeholfen, das Amt des Kulturstaatsministers zu erfinden. Als Schröder ihm den Posten nach dem Wahlsieg anbot, lehnte er ab: Er sei nicht für Gremien gemacht. Doch dann wurde er ein Jahr später Präsident des Deutschen Bühnenvereins. An der Spitze des Arbeitgeberverbandes der deutschen Bühnen und Orchester musste er dann doch ganz sicherlich viele Gremien leiten.

Dieser Einsatz hatte immer auch das Ziel, die Wirksamkeit der Kunst in die Gesellschaft hinein zu tragen. Warum sollten nicht alle sich vom Theater begeistern lassen? Um sie davon zu überzeugen, musste man sie erreichen und in die Säle locken. Dafür setzte sich Jürgen Flimm mit ganzer Kraft und viel Herzblut ein. Wir alle können ihm zutiefst dankbar sein für ein bedeutendes Werk, das unzweifelhaft Theatergeschichte geschrieben hat. Immer wieder begegnen mir die Spuren seines Wirkens. Sie sind Ansporn, in seinem Sinne weiter für die Relevanz der Kunst und des Theaters zu streiten. Er wird fehlen!

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Carsten Brosda

ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Sein jüngstes Buch „Die Kunst der Demokratie“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

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