Kultur

Zum Tod des Schriftstellers Erich Loest

von Regine Möbius · 13. September 2013

Der Literat Erich Loest ist am Donnerstag gestorben. Der politische Schriftsteller und Chronist war 87 Jahre alt. Ein Nachruf.

„Literatur und Politik – das ist wie ein struppiger Garten…“ So äußerte sich Erich Loest auf dem Chemnitzer Verbandskongress 1997. Er fuhr fort in seiner Abschiedsrede, diesen Garten näher zu beschreiben und sah ihn angefüllt „mit Hochgewächs und Kraut, Rüben, Sonnenbank und Tümpeln, in denen sich Hechte und Kaulquappen beäugen.“

Drei Jahre lang hatte der Schriftsteller wie kaum einer seiner Vorgänger als Verbandsvorsitzender Kulturpolitik bewegt. Seine stetige Aufforderung zum Dialog führte Erich Loest selbst auf vielfache Weise weiter, als er mit großer Mehrheit 1994 zum Vorsitzenden des Verbandes deutscher Schriftsteller gewählt wurde. Intensiv und energisch betrieb er die literarische Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschen und setzte damit ein Korrektiv zum einstigen Versagen des Verbandes. Hunderte von Lesungen polnischer Autoren in Deutschland, Symposien und Übersetzungen polnischer Literatur waren die neu gewachsenen Möglichkeiten. Darüber hinaus setzte er sich für den Erhalt von Bibliotheken ein, spendete Geld und Bücher, kämpfte für mehr Lesestoff in Schulen und Kindergärten. Wichtige Preise und Ehrungen würdigten dieses Engagement.

Ein Geschichtsvermittler

Dabei kam Erich Loest  zu Wort als Mittler zwischen gelebter Geschichte und einer heutigen Leserschaft; aber auch als Sachwalter kulturpolitischer Auseinandersetzungen. Für ihn war der eine nicht ohne den anderen denkbar: Gradlinig in der Sache, deutlich, wenn es um Versäumnisse ging. Seine Leidenschaft galt der Literatur, für sie hat er stets Politik gemacht. Er schrieb über das Zuchthaus und die friedliche Revolution, über historische Markierungen und legte das Seziermesser an die Lebenswirklichkeit von 40 Jahren real existierendem Sozialismus. In seinen Romanen reizte er die verwegene Mischung aus Privat- und Zeitgeschichtsschreibung aus.

Sowohl literarisch als auch publizistisch setzte der 1926 Geborene von Beginn an auf Klärung. Schon in den Fünfziger Jahren brachte ihm seine Auseinandersetzung mit der ersten politischen Gegenbewegung in der DDR, dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, den er mit analytisch-kritischem Blick im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel hinterfragte, massive Anfeindungen ein.

Siebeneinhalb Jahre Haft

Wenige Jahre später folgten Verhaftung und Verurteilung zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen „konterrevolutionärer Gruppenbildung“. Die Bewältigung dieser Zeit verdanken wir seinem Zorn und unbeugsamen Willen, nachzulesen in Loests Buch „Prozesskosten“, einem erschütternden Stück Dokumentarliteratur. Seine Realität war gegeben für ein abgeriegeltes Land mit 17 Mio. Einwohnern.

Ein ebenso vielschichtiges Dokument dieser frühen Jahre war die Autobiografie „Durch die Erde ein Riß“. Sie ist nicht nur von besonderer zeitgeschichtlicher Bedeutung – und konnte schon deshalb 1981 nur in Westdeutschland erscheinen – sondern eine der wichtigsten und aufschlussreichsten Quellen zur Kulturpolitik der Ulbricht-Regierung.

Details wurden mit einer Genauigkeit ins Bild gesetzt, die den Autor als Geschichtsvermittler auswies. Mit seiner Form der Literatur gelang es ihm, ein Zeugnis zu geben für den Einzelnen und die namenlose Masse derer, die eben diese Sprache nicht besaßen oder zum Verstummen gebracht worden waren, ehe sie ihre Stimme erheben konnten. Es war vorprogrammiert, dass er auch nach seiner Haftentlassung in der DDR als Unperson galt. Kampagnen, Zensurmaßnahmen und die Verzögerung der Neuauflage seines 1978 endlich erschienenen und sofort vergriffenen Romans „Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene“ waren die sichtbaren Zeichen. Der Roman ist einer der wichtigsten Prosatexte dieser Zeit, der in genauen Momentaufnahmen das Wesentliche über die gesellschaftliche Verfassung und darüber hinaus über historische Zusammenhänge aussagte.

Arbeiten in der Bundesrepublik

Bis zum März 1981 lebte der Schriftsteller weiter in Leipzig. Die Erfahrungen und Beobachtungen dieser Zeit genügten, um Loest als Verteidiger der Demokratie das Leben und Schreiben in der DDR unmöglich zu machen. Nach vielen Anträgen und Gesprächen wurde ihm ein Dreijahresvisum für die Bundesrepublik erteilt. 1984 erschien in Hamburg bei Hoffmann und Campe der bereits in der DDR konzipierte Roman „Völkerschlachtdenkmal“, in dem der Autor über die letzten 150 Jahre der Leipziger Stadtgeschichte fabulierte.

Seine Situation in der Bundesrepublik aktivierte ihn zu einem Sprecher für die Probleme der Emigranten und neben der literarischen Arbeit zu einem Kulturjournalisten, der die Welt bereiste und beschrieb.

Am 15. Dezember 1989, einen Monat nach dem Mauerfall, las Erich Loest wieder in Leipzig. Loest redet nicht von Aufklärung, er war ihr legitimer Vertreter; die Arbeit an seinem Buch „Nikolaikirche“ und dem gleichnamigen Film ein folgerichtiger Prozess. In ihm ging der Schriftsteller anhand von Einzelschicksalen den Gründen nach, wie und warum es zum Untergang der DDR kommen musste. Das Buch endete mit der friedlichen Revolution im Oktober 1989.

Politischer Schriftsteller und Chronist

Erich Loests politische Bedeutung, die ihn gleichzeitig als einen maßgebenden Schriftsteller und Chronisten auszeichnete, war der umfassende Blick auf die tiefere Psychologie der Ereignisse, die sich in all seinen Büchern und kulturpolitischen Aktionen widerspiegelte; sowohl in den Romanen der letzten Jahrzehnte, als auch in den politischen Essays, den dramatischen Arbeiten, den Reden. Sie waren die Konturen eines Schriftstellers, den die Städte Leipzig und Mittweida mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet haben.

Beeindruckt von einer sich fortschreibenden Haltung war zu erleben, dass Erich Loest auf gänzlich andere Weise unterdrückten Persönlichkeiten einen ungewöhnlichen, öffentlichen Raum gab: Der Schriftsteller hatte den Maler Reinhard Minkewitz beauftragt, ein Bild zu malen in Erinnerung an Menschen, deren Lebenswege sich in dem Zeitraum 1946 bis 1960 mit der Leipziger Universität verknüpften. Zu ihnen gehören der Student und christliche Studentenführer Werner Ihmels, der liberale Studentenrat Wolfgang Natonek und der Studentenpfarrer Siegfried Schmutzler. Festgehalten waren auch der Germanist Hans Mayer und der Philosoph Ernst Bloch. Die beiden Professoren verließen die DDR, da sie auf Grund ihrer Lehrmeinungen an der Leipziger Universität in Ungnade gefallen waren.

„Ein jegliches hat seine Zeit“

Mit der Sichtbarmachung einer besonderen historischen Situation und ihrer Opfer in der DDR erinnerten Erich Loest und der Maler Reinhard Minkewitz an viele in diesem Land, die ebenfalls aufrecht standen.

Und so sei noch einmal aus der Chemnitzer Rede des gestern Verstorbenen zitiert: „Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter der Sonne seine Stunde – das lehrt uns der Prediger Salomo.“

Autor*in
Regine Möbius

ist Bundesbeauftragte für Kunst und Kultur der ver.di und Vizepräsidentin des Deutschen Kulturrats

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