Kultur

Zum 125. Geburtstag von Stefan Zweig

von Die Redaktion · 24. Oktober 2006
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Stefan Zweig wurde als Sohn eines sehr wohlhabenden jüdischen

Textilunternehmers in Wien geboren. In seiner Familie wurde die geistige

Emanzipation großgeschrieben. Die Begeisterung für die Literatur zeigte sich

schon während seiner Schuljahre. Bereits mit 20 Jahren gelang es ihm, für

seine literarischen Arbeiten einen der angesehensten deutschen Verlage, den

Insel-Verlag, zu gewinnen. Kurz darauf veröffentlichte er im Feuilleton der

bekanntesten Wiener Zeitung, der "Neuen Freien Presse". Diese Erfolge

spornten ihn an, sich weiter zu entwickeln. So bereiste er europäische Staaten,

ferner die USA, Lateinamerika und Indien. Diese Aufenthalte nutzte er, um die

Kultur der Länder zu studieren. Sein besonderes Anliegen war die Aufnahme

von Kontakten und Freundschaften mit Schriftstellern. Er übersetzte Werke

damals in Deutschland noch unbekannter Künstler wie des belgischen

Schriftstellers Emile Verhaeren und des Franzosen Romain Rolland. Zweig sah sich als Vermittler zwischen den Kulturen, schrieb Essays über Autoren, die wie er die geistige Vereinigung Europas wünschten. Insgesamt hat er beinahe

fünfzig Werke, vor allem zeitgenössischer Autoren, herausgegeben, übersetzt

oder eingeleitet. Er hat eine der schönsten Buchserien der deutschen Sprache,

die Insel-Bücher, angeregt und zu Beginn mit ausgewählt.

Während Zweig sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch freiwillig für den

Kriegsdienst meldete, entwickelte er sich im Laufe des Kriegs aufgrund des

Kriegsgeschehens, aber auch durch Rolland, der als europäischer

Intellektueller gegen den Krieg schrieb, zum Pazifisten.

1917 und 1918 begann eine bemerkenswerte literarische Produktivität. Er

schrieb sein erstes Werk gegen den Krieg, das Drama "Jeremias". 1917 nutzte

er eine Vortragsreihe in die Schweiz, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen.

Bis zum Ende des Kriegs blieb er hier und traf einen Kreis von Intellektuellen

aus den Krieg führenden Ländern, die sich auch aus ihren Ländern hierhin

zurückgezogen haben. Sie verstanden sich als Begründer eines neuen Europas

und veröffentlichten Texte gegen den Krieg und für einen neuen Aufbruch.

1919 kehrte er nach Österreich zurück. Er hoffte inständig, die Menschen nach

dem Krieg zu einem europäischen, friedlichen Neubeginn anzuregen. Mit seiner

Frau Friderike zog er nach Salzburg. In den fünfzehn Jahren in Salzburg

besuchten ihn die wichtigsten europäischen Intellektuellen und Musiker seiner

Zeit. In dieser Zeit entstanden auch die Werke, die seinen Weltruhm

begründeten. Er veröffentlichte zahlreiche historische Biografien, Essays und

Einführungen, in denen er den Lesern die Werke der großen europäischen

Humanisten nahe bringen wollte. Zu diesem Zweck machte er auch zahlreiche

Vortragsreisen durch Europa.

Mit großer Sorge verfolgte er in dieser Zeit den Aufstieg der Nationalsozialisten

in Deutschland. Seine Befürchtungen über das Aufkommen des Faschismus

sollten sich bestätigen. 1933 fielen in Deutschland auch seine Werke bei

Bücherverbrennungen den Flammen zum Opfer. In Gesprächen mit Freunden

äußerte er bereits 1933, dass Österreich seine Selbständigkeit nicht lange

würde behaupten können. Ebenso die Annahme sollte sich

bewahrheiten. Nach polizeilichen Willkürmaßnahmen verließ er Österreich und

emigrierte nach London. Über die Jahre bis zu seiner Emigration schrieb er in

seiner Autobiographie: "Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen

übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen,

ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt. Mein literarisches

Werk ist in der Sprache, in der es geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in

eben demselben Lande, wo meine Bücher Millionen Leser sich zu Freunden

gemacht. So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls

Gast; auch die eigentliche Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir

verloren".



In den ersten vier Jahren in Großbritannien vermied er es, sich öffentlich

politisch zu äußern.

An Stelle dessen beschäftigte er sich mit den historischen Wurzeln des

Nationalismus und den frühen Vorkämpfern der geistigen Freiheit. In diesem

Zusammenhang sind von besonderer Bedeutung die Biografien über "Erasmus

von Rotterdam" und "Castellio". Sie konnten und wurden als Parabel gegen

Faschismus. Beide Bände sind in Deutschland zu Unrecht beinahe völlig

vergessen. In Spanien erschien vor kurzem eine Neuübersetzung, die von der

Kritik hoch gelobt wurde.

Sein Exil in London endete mit der Besetzung Österreichs durch Deutschland.

Sein Pass verlor die Gültigkeit und er musste um ein englisches Dokument für

Staatenlose nachsuchen. Diese eingeschränkte persönliche Freiheit verschärfte

sich mit dem Eintritt Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg. Er wurde so zu

einem gerade noch geduldeten Ausländer. 1940 schafften es englische

Freunde endlich durchzusetzen, dass er die englische Staatsbürgerschaft

bekam.

Diese neue Unabhängigkeit nutzte er, um mit seiner zweiten Frau Lotte, die er

1939 geheiratet hatte, Europa zu verlassen. Nach mehreren Stationen gelangte

er nach Brasilien. Hier nahm er seinen Wohnsitz in Petropolis nahe Rio de

Janeiro und lebte dort mit seiner Frau sehr zurückgezogen. Die militärischen

Erfolge des deutschen Faschismus deprimierten ihn merklich, so dass er sich

immer mehr in seine Arbeit zurück zog. Wenige Monate vor seinem 60.

Geburtstag hatte er das Gefühl, die Zerstörung aller seiner Werte nicht mehr

ertragen zu können und nahm sich am 22. Februar 1942 gemeinsam mit seiner

Frau das Leben.

In seinem Abschiedsbrief schrieb er voller Schwermut, dass "...die Welt meiner

eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa

sich selbst vernichtet." Thomas Mann äußerte Jahre später: "Nie ist mit tieferer

Bescheidenheit ein Weltruhm getragen worden." Seinen Freunden blieb sein

herausragender Verdienst um die europäische Kultur und eine einzigartige

Persönlichkeit in Erinnerung.

Zum 125. Geburtstag des weltweit geachteten Autoren, dessen Bücher in mehr

als fünfzig Sprachen übersetzt wurden, sind verschiedene, überaus

lesenswerte Werke neu erschienen bzw. herausgegeben worden:

Stefan Zweig: Meistererzählungen. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 1970.

492 Seiten. ISBN 978-3-10-397022-7.

Stefan Zweig/Friderike Zweig: "Wenn einen Augenblick die Wolken weichen".

Briefwechsel 1912 - 1942. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2006. ISBN

978-3-10-097096-1

Die Neuausgabe des Briefwechsels zwischen seiner späteren Ehefrau

Friderike und Stefan Zweig ist als Erzählung konzipiert und enthält zahlreiche,

bislang unveröffentlichte Briefe.

Oliver Matuschek: Stefan Zweig. Drei Leben. Eine Biographie. S. Fischer Verlag

Frankfurt am Main 2006. ISBN 978-3-10-048921-0

Matuschek erzählt die Lebensgeschichte Zweigs auf der Grundlage vieler bisher

unbekannter Dokumente und Briefe.

Alberto Dines: Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig. Büchergilde

Gutenberg

Frankfurt am Main 2006. ISBN 978-3-936428-64-3

Dines dokumentiert die letzten Lebensjahre Zweigs in Brasilien und zeichnet

kritisch und mitfühlend ein Porträt Zweigs, der sich den Anforderungen seiner

Zeit nicht gewachsen sah und den Freitod wählte.

Stefan Campen

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