Kultur

Zorn und Zeit

von Die Redaktion · 18. Januar 2007

Seine fundierte und umfangreiche Arbeit bezeichnet Peter Sloterdijk als einen politisch-psychologischen Versuch. Und wieder einmal mehr überrascht uns er mit seinem originellen Denken, mit bisher unbekannten kulturgeschichtlichen Zusammenhängen und neuen Sichtweisen auf einen der menschlichsten Affekte: Zorn.

Schon in der Einleitung zu seinem Buch gibt Sloterdijk eine thematische Problemexposition zum politisch-psychologischen Faktor Zorn vor, der vom Altertum bis in unsere Zeit hinein individuelles und kollektives Leben beeinflusst.

Einige seiner Themen und Fragestellungen seien hier benannt. Seit und aus der griechischen Mythologie mit ihren Göttergeschichten kennen wir Zorn als Privileg der Götter, das Helden zur rechten Zeit hervorbringt, die dann als ausführende Agenten eines göttlichen Willens agieren. So gehören Kriege, Helden, Stolz, Rechtfertigung und Würde des Zorns schon immer zusammen. Sie inszenierten und spielten auf dem weltpolitischen Theater.

Wie anders die Sicht des Christentums auf den Zornkontext. Zorn, Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung wurden der Demut geopfert, der Stolz in die Liste der Kardinalsünden aufgenommen.

Im 20. Jahrhundert verschoben sich mit der Psychoanalyse die Auffassungen über die menschliche Natur und Psyche. Mit der einseitigen Reduzierung auf die Erotik wurden andere psychologische Gefühlslagen und Motivationen gar nicht erst zu ihrem Gegenstand.

Die Ressentimentbewegungen des 19. und 20 Jahrhunderts, die Formen des kollektiven Zorns und die neue "Zornwirtschaft", wie Sloterdijk sie nennt, führen ihn auch zu einer ideengeschichtlichen Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche, zu dessen Schlüsselwort "Rache" und zur Umwertung aller Werte, sowie der Kennzeichnung der herrschenden Moral, die aus sklavischem Verhalten resultiert.

Und der vollendete Kapitalismus wird begleitet von politisch-psychologischen, manifesten Regungen und Bewegungen, bis hin zum Terrorismus, die auch im Einklang mit Zorn, Stolz und Empörung stehen. Sloterdijk rückt aber auch mit überaus aktuellen Bezügen die nachkommunistische Situation mit "Verlierern" und "Gewinnern" in sein Blickfeld von "Zorn und Zeit".

Seine einführenden Überlegungen und thematischen Vorgaben werden in den folgenden Kapiteln des Buches weiter vertieft, erweitert und ausführlich behandelt.

Wie sich der Zorn im Zeitalter der so häufig konstatierten Globalisierung neue Bahnen brechen wird, ist noch ungewiss und könnte voller Überraschungen sein. Sloterdijk hofft auf eine Politik der Balance, die keinen notwendigen Kampf meidet und keinen überflüssigen provoziert.

Peter Sloterdijks Buch ist ein sehr Erkenntnis bringender und unbedingt zu lesenden Beitrag über einige der Grundlagen menschlicher Existenz im Kontext von Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Dieter Köppe

Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit. Politisch psychologischer Versuch, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 356 Seiten, 22,80 Euro, ISBN 978-3-518-41840-6

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