Kultur

Zärtlicher Chaot

von ohne Autor · 29. November 2013

Was ist das für ein Irrer, der mit einem Megafon durch London rennt und Polizisten umarmt? Der Dokumentarfilm „The Love Police“ begleitet den Anarcho-Protestler  Charlie Veitch auf seiner Wanderung zwischen Anpassung und Widerstand.

Mit einer Mischung aus Entsetzen und Amusement begegnen die Menschen jenem Briten, wenn sie zufällig in seine öffentlichen Aktionen hineingeraten. Veitch ist so etwas wie ein Superheld der Kapitalismuskritik. Zeigt er doch, dass man nur eine Kamera und einen Computer braucht, um Behörden und Konzerne gegen sich aufzubringen. Der Film folgt ihm zu seinen Performances quer durch die westliche Welt, zeigt aber auch die Privatperson hinter der Figur. Angesichts millionenfach angeklickter Online-Videos ist Veitch die Deutungshoheit über seine Aktivisten-Rolle längst abhanden gekommen. Allein der Mitschnitt seiner vorläufigen Festnahme im Vorfeld der Hochzeit von William und Kate vor zwei Jahren wurde mehr als 240 000-mal aufgerufen.

Veitchs Vita belegt wieder einmal, dass diejenigen, die bestimmte Strukturen besonders hartnäckig attackieren, sich in diesen zunächst ziemlich wohl gefühlt haben. Bevor der 30-Jährige gegen die zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung öffentlicher Räume – und die damit verbundene Videoüberwachung – , nicht nur in Großbritannien, zu Felde zog, arbeitete er als Banker in der Londoner City. Bis ihm während der Finanzkrise erste Zweifel kamen und daraus Performances wurden, die anschließend im Netz landeten. Seit seiner Kündigung lebt er, wie es heißt, von den Zuwendungen seiner Unterstützer. Nun hofft er auf Tantiemen für diesen Film, an dem er zudem als Co-Drehbuchautor und Produzent mitgewirkt hat.

Trailer

Aufgrund dieser Konstellation verwundert es kaum, dass „The Love Police“ nicht gerade übermäßig distanziert oder gar kritisch auf Veitchs Aktionen schaut. Immerhin bleibt genügend Raum für die Selbstzweifel, die ihn überkommen, nachdem sich sein Mitstreiter Danny Shine, dem er entscheidende Inspirationen verdankt, aus der Zusammenarbeit ausgeklinkt hat. Am Ende denkt auch Veitch ans Aufhören. Nach Jahren des Protest-Tingeltangels mit mehreren Verhaftungen und einem engen WG-Zimmer findet sich der werdende Familienvater auf wundersame Weise in einer gepflegten Wohnung in seiner Heimatstadt Manchester wieder.

Bis dahin geht es aber darum, was Veitch eine breite Fanschar eingebracht hat: Seine Aktionen, die an urbritische Traditionen anknüpfen und sich zeitgemäßer Vermarktungsmethoden bedienen. Etwa die „Free Speech“ auf der Straße und allerschwärzester Humor. Immer wieder formt der Protagonist aus so unbekümmerten wie bitterbösen Pointen groteske Botschaften. Mitunter meint man, im nächsten Moment kommen die britischen Comedystars Matt Lucas und David Williams („Come Fly With Me“) um die Ecke und mischen mit. „Haben Sie keine Angst vor Terroristen! Die Regierung wirft viele große Bomben auf sie“, plärrt es mitten in London aus Veitchs Flüstertüte. Was wiederum zeigt: Aus der Kritik an den dunklen Seiten des Kapitalismus ist längst auch eine am politischen Mainstream geworden. Leider versäumt es der Film, Ordnung in Veitchs überbordende Gedankenwelt zu bringen, der zumindest vor der Kamera alles und jeden durch den Kakao zieht, ohne Alternativen aufzuzeigen.

Umso deutlicher wird, wie Menschen wie Veitch, die nichts Verbotenes tun, im Zeichen der Anti-Terror-Rhetorik zunehmend kriminalisiert werden. Zum Beispiel, wenn er Polizisten am Amtssitz des britischen Premierministers filmt, in Toronto friedlich gegen das G20-Treffen demonstriert, vor einer Londoner Bank ein Pappschild mit dem Slogan „Everything is ok“ in die Höhe hält oder sich einfach nur, umringt von anderen, in einem Einkaufscenter aufhält. Fester Bestandteil dieser Ein-Mann-Show ist sein Appell an die Sicherheitskräfte, sich von ihm umarmen zu lassen, um seinen guten Willen und den, wie er meint, Dienst an der Gesellschaft anzuerkennen. So führt der gewendete Banker die Erwartungen ad absurdum. Aus dem „Fuck The Police“ der Punk-Bewegung wird „Hug The Police“. Doch nicht immer geht diese Strategie auf.

Ist gerade das nun ironisch oder ein theatralischer Mittel zum Zweck? Es dürfte eine Mischung aus beidem sein. Überhaupt verschwimmt in der Regiearbeit von Harold Baer so einiges. Etwa die Grenzen zwischen einer dokumentarischen Erzählweise und dem bloßen Abfilmen von Veitchs Aktionen. Immerhin sind die Szenen in London, Toronto, Frankfurt am Main und Amsterdam so ausführlich, dass sich jeder ein Bild von der wohlkalkulierten Methodik und Wirkung jener Auftritte machen kann.

Das alles macht den Erfolg dieses mitunter bizarren Systemkritikers anschaulich, wenngleich viele Fragen offen bleiben. Doch unterhaltsam ist diese Beschäftigung mit der Frage, was kreativer Protest leisten kann und auf welche Widerstände er trifft, allemal.

The Love Police (D 2013), Regie: Harold Baer, mit CharlieVeitch, Danny Shine u.a., OmU und dt. Voice-Over, 90 Minuten.

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