Kultur

Würde und Weisheit der späten Jahre

von Dagmar Günther · 25. Januar 2008

In seinem Bestseller "Wie wir sterben" präsentierte Sherwin B. Nuland der Öffentlichkeit die Wahrheit über das Ende des Lebens. In seinem neuen Buch legt er offen, welche Auswirkungen das Älterwerden auf Körper und Geist hat. Als Arzt und Wissenschaftler schildert er die physischen und emotionalen Veränderungen, die ein Mensch beim Älterwerden durchlebt. Als Humanist bringt er aber auch das Verständnis für Herz und Seele mit. Er lässt die Alternden nicht im Regen stehen, sondern zeigt Wege auf, die späten Jahre aktiv und gewinnbringend zu gestalten. Schließlich spricht der Mittsiebziger aus eigener Erfahrung, gibt so manche Anekdote zum Besten. Nur, wer weiß was kommt, kann sich darauf vorbereiten und trotzdem ein zufriedenes Leben führen. Man muss mit dem Alter nicht hadern.

Nuland betrachtet es vielmehr als Geschenk, "das die Grenzen unseres Lebens markiert". Alles was innerhalb dieser Grenzen liegt, "erscheint uns auf diese Weise wertvoller als zuvor: Liebe, Lernen, Familie, Arbeit, Gesundheit, ja sogar die im geringeren Umfang verfügbare Zeit selbst". Schließlich nehme die Dringlichkeit, dies alles zu pflegen und zu nutzen mit wachsendem Alter zu.

Vom Lernen im Alter

Und Nuland sät Hoffnung, räumt mit Vorurteilen auf. Es müsse durchaus nicht sein, dass Gehirnfunktionen eingebüßt werden. "Richtig ist, dass sich der Lernvorgang im Verlauf der späteren Lebensjahre in gewisser Hinsicht verlangsamt und die Lernmenge bei gleicher Mühe und gleichem Aufwand geringer wird. Doch die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und aus Erfahrungen zu lernen, verändert sich nicht nennenswert. Auch die Aufmerksamkeit wird nicht beeinträchtig, was für den Erwerb neuen Wissens vielleicht genauso wichtig ist." Lernen bleibt also im Alter durchaus angesagt.



Auch Nuland ist gewillt dazuzulernen. Er schöpfe aus "Tatsachen, Wissen und stetig sich mehrender Weisheit", schreibt er. Und er lerne von seinen Wegbegleitern. Mit Dr. Leo Clooney, Gründer und bis heute amtierender Leiter der geriatrischen Abteilung der Yale School of Medicine und dem dazugehörigen Krankenhaus Yale-New Haven habe er über die Bedeutung körperlichen Trainings für die Erhaltung physischer Leistungskraft und einer zuversichtlichen Lebenseinstellung gestritten. "'Aber Sport ist nicht der heilige Gral', merkte er (Leo, Red.) an. 'Wenn es einen Heiligen Gral gibt, dann sind das die Beziehungen zu Mitmenschen. Wenn man sich entscheiden müsste zwischen einer Trainingseinheit im Fitnessstudio oder gemeinsam mit den Enkelkindern verbrachter Zeit, würde ich mich für die Enkelkinder entscheiden.'"

Und so kommen beide zur Erkenntnis, "wie notwendig es ist, in der eigenen Familie und im sozialen Umfeld eine wichtige Rolle als unverwechselbares Individuum einzunehmen - mit einem Lebenszweck, eigener Wertschätzung, einer persönlichen Würde-, und das nicht nur in der Eigenwahrnehmung sondern in der Wirklichkeit". Die Jüngeren seien den Älteren "so viel schuldig" und die Älteren sollten für die Jüngeren so leben, " dass sie diese Wertschätzung" verdienen".

Dieses Wissen nutzt Ruland später in seinem Briefwechsel mit einer lebensmüden alten Inderin. "Sie müssen leben, für die Menschen die Sie lieben, weil diese Menschen Sie brauchen", schreibt er an sie, fordert Optimismus ein und den Glauben an sich selbst.

Vom Verschieben der Prioritäten

"Dieses Buch soll vom Altern des Menschen und den Belohnungen in dieser Lebensphase berichten - und auch von den Gründen zur Unzufriedenheit. Und das Buch soll außerdem zeigen, wie man sich am besten auf die Veränderungen einstellen kann, die unweigerlich nach Anpassung verlangen, nach Verschieben der Prioritäten und einer realistischen Einschätzung von Zielen und Vorhaben, die neu sein mögen oder mit einer Neugestaltung des Lebensweges verbunden sind.", schreibt Nuland im ersten Kapitel. Das gelingt ihm und es macht Mut, denn im Grunde ist es doch eine Begleiterscheinung jedes Lebensabschnitts.

Dagmar Günther

Sherwin B. Nuland: Die Kunst zu Altern. Weisheit und Würde der späten Jahre, Deutsche Verlagsanstalt, München 2007, 336 Seiten, 19,95, ISBN 978-3-421-05932-1

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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