Kultur

„Wrong Elements“: Gefangen in den Schrecken des Krieges

Sie sind Opfer und Täter zugleich: Jonathan Littells Filmdebüt „Wrong Elements“ erzählt vom Alltag ehemaliger Kindersoldaten in Ostafrika und überrascht mit seiner behutsamen Erzählweise und Ästhetik.
von ohne Autor · 28. April 2017
„Wrong Elements“
„Wrong Elements“

Jonathan Littell ist ein Weltreisender im Zeichen der Grausamkeit. Vor gut zehn Jahren erschien sein umstrittener Roman „Die Wohlgesinnten“, ein opulentes Drama über den Holocaust aus der Perspektive eines SS-Offiziers. Noch das blutrünstigste Geschehen wird darin opulent ausgebreitet.

66.000 Kindersoldaten alleine in Uganda

In den Folgejahren arbeitete der Franzose für Hilfsorganisationen in Krisengebieten. Dort sprach er mit etlichen Gewaltopfern. Zudem recherchierte er für Kriegsreportagen in Georgien und Syrien. Und schließlich auch in Uganda. Dort entstand die Idee für „Wrong Elements“.

Wenn von Afrikas blutigen Bürgerkriegen die Rede ist, dann meist auch von Kindersoldaten und Sexsklaven. Zum Beispiel in Uganda: Zwischen 1986 und 2005 tobten dort Kämpfe zwischen der Regierung und der sogenannten Widerstandsarmee des Herrn, der Lord Resistance Army (LRA). Diese soll rund 66.000 Kinder entführt und zu Soldaten gemacht haben. Außerdem wird die LRA für die Vertreibung von mehr als zwei Millionen Menschen verantwortlich gemacht.

Opfer und Täter zugleich

Ihr Gründer Joseph Kony soll von Geistern zum Kampf und zur äußersten Brutalität, gerade gegenüber Zivilisten, angestiftet worden sein. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sucht ihn per Haftbefehl. Die LRA wurde aufgerieben und zerschlagen. Für die einstigen Kindersoldaten gilt eine Amnestie. So versucht der ugandische Staat, ihnen den Weg zurück in ein normales Leben zu ebnen.

Sie, die auf Geheiß ihres Anführers so viel Leid über andere brachten, werden von der Gesellschaft auch als Opfer betrachtet. Was es heißt, mit diesem Spagat zu leben, davon erzählt „Wrong Elements“. Der Titel geht zurück auf das Motto einer ideologischen Stichwortgeberin der LRA, wonach im Krieg alle „falschen Elemente“ einer Gemeinschaft auszumerzen seien. Es sagt viel über die Radikalisierung innerhalb der Rebellenmiliz.

Vom Monströsen des Krieges

Auch die vier Protagonisten des Films haben Schuld auf sich geladen. Geofrey, Nighty, Mike und Lapisa waren zwölf oder 13 Jahre alt, als sie Ende der 90er-Jahre entführt und zu Soldaten wurden. Drei von ihnen reisen im Film zusammen zu ehemaligen Lagern und anderen Orten, wo sie an brutalen Exzessen beteiligt waren. Es ist in mehrerer Weise gespenstisch, wie vor allem die Männer von damals berichten. Mal klingt das Ganze nach einer lustigen Herrentour, dann wieder folgen grausige Details. Nightys und Lapisas Beschreibungen bleiben kryptisch, doch das Traumatische dahinter ist jederzeit spürbar. Lapisa braucht gar einen Exorzismus, um davon loszukommen.

Aber auch die joviale Fassade von Geofrey und Mike bröckelt an mehreren Stellen. Besonders, wenn es um die Frage geht, wie die Hinterbliebenen der massakrierten Opfer mit den Kindersoldaten von damals umgehen. In einer Szene besucht Geofrey ein Dorf, dessen Bewohner von LRA-Kämpfen mit Äxten und Hacken abgeschlachtet wurden. Im Nu offenbart sich das Monströse des Krieges und dessen moralischer und psychologischer Ballast. Bleibt die Haltung der früheren Marodeure gegenüber ihren Taten ansonsten meist diffus, herrscht hier eine bedrückende Klarheit.

Afrikanisches Drama

Nimmt man „Die Wohlgesinnten“ zum Maßstab, dann überrascht „Wrong Elements“ durch eine zurückgenommene, ja behutsame Erzählweise und Ästhetik. Was der Nazi-Roman elegisch ausbreitet, wird in Littells Dokumentarfilm allenfalls angedeutet. War die Fokussierung auf den und die Täter seinerzeit zwiespältig, ist es hier allein deswegen angemessen, weil Geofrey und die anderen letztendlich eine Doppelrolle einnehmen.

Die Offenherzigkeit der vier Hauptfiguren überrascht. Ihre Erzählungen machen eines der zahllosen afrikanischen Dramen anschaulich, ohne dass der Film den Anspruch erhebt, das Gewesene, zumal mit dem Blick von außen, erklären zu können. Umrahmt werden die, nur selten vom Interviewer unterbrochenen Erzählungen, von gemäldeartigen Aufnahmen afrikanischer Natur, die Littells Hang zum Schwelgerischen erkennen lassen. Dieses Regionalkolorit soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ähnliche Geschichten auch in Syrien, Afghanistan und anderen umkämpften Gebieten zu erzählen gibt. Ihre Zeit wird kommen.

 

Info: „Wrong Elements“ (Deutschland/Frankreich/Belgien 2016), ein Film von Jonathan Littell, 133 Minuten. Jetzt im Kino

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