In Timbuktu war er, am Nordpol, auf den aufgegebenen Bauernhöfen Islands, stets auf der Suche nach den Landschaften, die mit seinem Inneren korrespondieren, die dem Menschen den Rücken
zudrehen. Das Ergebnis ist ein Buch, das bereichernder und informativer ist als jeder Reiseführer. Wussten Sie beispielsweise, dass die Welt auch in der Eifel enden kann? An einem Winterfeld,
über das der Wind fegt und dessen unberührter Schnee sagt: Nicht weiter, dreh um, verschwinde.
Vor 30 Jahren, so erzählt Roger Willemsen gleich zu Anfang des Buches, schwärmte er dort in der winterlichen Eifel für eine Krankenschwester, die einem Achtjährigen erklären musste, dass er
nur noch wenige Monate zu leben hätte. Eine halbe Stunde später tauchte der Kleine in der Tür zum Schwesternzimmer auf und verkündete: "Mir ist langweilig." Also legte der damalige Student sich
mit dem Jungen auf sein Totenbett und reiste mit ihm im Kopf wohin er wollte. "Ans Ende der Welt!"
Der neue Anfang
Nach diesem Erlebnis ist Roger Willemsen diese Routen nachgereist - stellvertretend, ohne Sentimentalität, ohne etwas kompensieren zu wollen, sondern lediglich auf der Suche nach dem Punkt,
an dem es nicht weiter geht. Allerdings verwandelt seine unverwechselbare Sprache die 22 Enden in einen neuen Anfang der Welt, wenn es etwa heißt: "Zwischen den Häusern zappelt sehr hoch die an
einem Seilzug befestigte Trockenwäsche und dirigiert die Schatten auf dem Boden. Aus den altmodischen Wiesen duftet das Gras geschnitten, ohne geschnitten zu sein." Denn wenn man sich auf dieses
"Bis hierher und nicht weiter" konzentriert, richtet man damit gleichzeitig alle Aufmerksamkeit auf das, was hinter dieser Grenze liegen könnte. Willemsens Buch macht dadurch in gewisser Weise
eine Überschreitung überhaupt erst denkbar.
Roger Willemsen: DIE ENDEN DER WELT
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 544 Seiten,
22,50 Euro, ISBN: 978-3-10-092104-8