Ein Buch über Gutmenschen. Hugo, der Junge, um den sich die Geschichte dreht, bekommt nur DVDs zu sehen und „absolut kein Fernsehen, außer Kindersendungen“, sagt seine Mutter. „Wir wollen Hugo die Möglichkeit geben, seine Fantasie unabhängig von dieser abscheulichen Welt zu entwickeln“. Das Produkt dieser Erziehung ist ein kleines Monster, das Gleichaltrige und Erwachsene ohne Ende nervt. Harry, einer der acht Protagonisten des Romans, verpasst ihm eine Maulschelle, was Hugos Eltern den Übeltäter vor Gericht zerren lässt.
Fast alle Figuren in Christos Tsiolkas Roman „Nur eine Ohrfeige“ haben einen multikulturellen Hintergrund, sind Akademiker und meist gut verdienend. Treue ist nur ein Wort, und die zahlreichen Sexszenen haben sicherlich dazu beigetragen, dass Tsiolkas Roman Grundlage für eine Fernsehserie wurde, die ein Rezensent mit „Desperate Housewives“ verglichen hat.
Huren und Heilige
Sie tragen schwer an ihrem Schicksal. Vor allem das weibliche Personal. Die Ärztin Anouk bekennt: „Wir sind alle Huren. Ich bekomme von Pharmaunternehmen Gratisreisen spendiert, damit ich Tieren Impfungen verpasse, von denen ich weiß, dass sie sie nicht brauchen. Das ist die Welt von heute“. Aber es gibt ja noch Rosie, Hugos Mutter, die von Anouk eine „Heilige“ genannt wird. Manchmal denkt man, der Autor habe eine Satire schreiben wollen.
Den drei Jahre alten Hugo stillt Rosie immer noch, was in ihrem Freundeskreis allerdings bei dem einen oder der anderen Kopfschütteln hervorruft. Eine unbedingte Freundin, Shamira, hält ihr jedoch die Stange: „Warte ab, bis ich im Zeugenstand stehe – ich werde denen schon erzählen, was für ein grausamer Mensch das ist, was für ein Vergnügen es ihm bereitet hat, Hugo zu schlagen. Dieses Schwein hat das richtig genossen, das soll jeder wissen.“ Von diesem Kaliber sind die Konflikte, die, folgt man dem Roman, die australische Gesellschaft beherrschen.
Aus acht Perspektiven wird die eher belanglose Episode, eben das Austeilen einer Ohrfeige, wieder und wieder beleuchtet, bevor die jeweilige Hauptperson mit ihrem Freund, Geliebten oder der Zufallsbekanntschaft ins Bett steigt, meist nach dem Genuss eines Joints. Am bildendsten sind noch die Passagen, in denen opulente Essen beschrieben werden, die Geschmack darauf machen, mal wieder beim nächsten Griechen vorbeizuschauen und gegrillte Lammkoteletts oder gebratene Auberginen zu bestellen.
Ein modernes Buch
„The Slap“, so der Originaltitel, ist laut Klappentext Tsiolkas bislang erfolgreichstes Buch. Der als Sohn griechischer Einwanderer 1965 geborene Autor arbeitet für Theater und Fernsehen. Sehr zeitgeistig kommt auch die Übersetzung daher, die von Nicolai von Schweder-Schreiner stammt.
Wer in diesen Tagen die Seite des Verlags öffnet, findet Tsiolkas Familiengeschichte an prominenter Stelle hervorgehoben. Der Verlag wirbt damit, die „Times“ habe den Roman „ein Meisterwerk der Moderne“ genannt. Modern, das stimmt schon.
Christos Tsiolkas: „Nur eine Ohrfeige“, Klett-Cotta, Stuttgart 2012, 510 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-608-93902-6
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.