Kultur

"Willst Du Dir das wirklich antun?"

von Die Redaktion · 14. April 2008
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In der Politik war sie eine Quereinsteigerin:. "Willst Du Dir das wirklich antun", wurde die erfahrene Journalistin gefragt, als sie sich Ende der 80er Jahre entschloss, in die Politik zu wechseln. Genauso lautet auch der Titel ihrer jetzt veröffentlichten Erinnerungen. 1988 für Heide Simonis in den Bundestag nachgerückt, beschreibt sie in ihren tagebuchartigen Reflexionen ihre Zeit als schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete, als Pressesprecherin des SPD-Parteivorstands - sie war die erste Frau in dieser Position - und als Staatssekretärin unter dem autokratischen Innenminister Otto Schily.



"Die Zeit zum Aufschreiben habe ich mir immer zwischen 23 und 24 Uhr genommen", erzählte die Autorin im Gespräch mit Dagmar Reim, Intendantin des RBB und SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks. Eingeladen hatte der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., das Kulturforum der Sozialdemokratie und der Boyens Verlag. "Wahrscheinlich kann nur eine Frau so ein Buch schreiben," sagte Barbara Hendricks in ihrer Laudatio. Sie meinte damit die Mischung aus Privatem und Beruflichem und die unprätentiöse Haltung zur Politik. Es sei ein nachdenkliches, kritisches und moralisches Buch, dass zum Abbau der Distanz zwischen Politkern und Bürgern führe, so Barbara Hendricks.

Wer hat das Sagen im medialen Geschwindigkeitsrausch?

Hauptthema des Gesprächs war das Verhältnis zwischen Politik und Medien. Da gab es z.B. Ende der 80er Anfang der 90er den Abgeordneten Horst Niggemeier, der von den Journalisten zu den unterschiedlichsten Themen befragt wurde. Als Cornelie Sonntag-Wolgast von einem Journalisten wissen wollte, warum immer der gefragt werde, der habe doch gar nicht diese Bedeutung in der Fraktion, antwortete der Journalist: Weil er zu allem etwas sagen kann. Flugs stellte Dagmar Reim der Bezug zur Gegenwart her. Ob ihr dazu heute auch ein Name einfiele. Erst zierte sich die Autorin, wollte keine Namen nennen, aber dann verriet sie doch einen: Johannes Kahrs.

"Enttäuscht sei sie über ihren Berufsstand", so die Autorin. Personen seien den Journalisten wichtiger als Hintergründe. Ein liberaler politischer Stil werde von der Presse als zu lasch kritisiert. "Wenn jemand auf den Tisch haut, steht er vor den Journalisten besser da", sagte die Grenzgängerin. Machtworte anstatt differenzierte Berichterstattung in den Massenmedien seien daher die Regel. Darunter leide die Demokratie. Auch die Überheblichkeit des Berufsstandes habe zugenommen, kritisierte sie, gab aber zu, sicher sei auch der Konkurrenzkampf noch härter geworden. Diese Diagnose unterstützte RBB-Intendantin Dagmar Reim. Das gelte nicht nur für Journalisten sondern auch für Politiker. Eine Methode, damit umzugehen, empfahl Barbara Hendricks: "Politiker sollen nicht so viel Zeitung lesen."

Empathie und Funktion - ein Drahtseilakt

Oft gewährt das Buch einen Blick hinter die Kulissen des politischen Alltags. Tiefpunkt ihrer Arbeit als Pressesprecherin von Björn Engholm sei die Nacht gewesen, in der Willy Brandt starb. "Bild" hatte die Information über den Tod des SPD-Parteivorstizenden, aber die Parteisprecherin durfte die Meldung nicht freigeben, weil man der Witwe zugesagt hatte, sie entscheide wer wann benachrichtigt werde. So bestand die Gefahr, dass am nächsten Tag ausgerechnet "Bild" exklusiv damit aufmachen würde. Diese "quälendste Situation" beendete Cornelie Sonntag-Wolgast schließlich, indem sie mit ihrem Mann Thomas sprach, ebenfalls ein Journalist, der die Information an den Deutschlandfunk weitergab. "Ich fand es beschämend, wie ich mit der Nachricht des Todes dieses großen Mannes umgehen musste." Schließlich brachte der Deutschlandfunk die Meldung unter Berufung auf eine sichere Quelle.

Sie bereue trotzdem nichts, obwohl das Leben in der Politik oft eine Zumutung für Ihren Ehemann Thomas gewesen sei. Als schönste und prägendste Erfahrung in der Zeit als Bundestagsabgeordnete sei der Wechsel vom Beobachten zum Agieren gewesen.

Entzugserscheinungen hat sie trotzdem nicht. Im Oktober 2005 schied Cornelie Sonntag-Wolgast aus dem Bundestag aus und ist nun unter anderem als Kolumnistin für den Deutschlandfunk tätig und Vorsitzende der Stiftung Gemeinsinn.

Cornelie Sonntag-Wolgast: "Willst Du Dir das wirklich antun?", Boyens Buchverlag, 212 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-8042-1250-3

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