Kultur

„Wild Rose“: Drei Akkorde für ein besseres Leben

Chaotisch, alleinerziehend und vorbestraft: nicht gerade ideale Bedingungen, um sich im harten Musikgeschäft durchzusetzen, möchte man meinen. Doch eine stimmgewaltige junge Schottin wagt das scheinbar Unmögliche.
von ohne Autor · 13. Dezember 2019
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Natürlich ist das immer noch ihre Band, denkt Rose-Lynn. Ein Jahr lang saß sie im Knast. Nun steht sie zum ersten Mal wieder am Tresen eines Pubs im schottischen Glasgow und muss mit ansehen, wie ihre einstigen Mitmusiker ohne sie proben. Ein Mann hat sie vom Gesangsposten verdrängt. Wutentbrannt klettert sie auf die Bühne, schnappt sich das Mikro und gemeinsam legen sie los. Doch der gewünschte Neuanfang verläuft schwieriger als gedacht. Am Ende findet sich Rose-Lynn allein und randalierend auf der Straße wieder.

Der Traum vom Leben als Country-Star             

Diese Szene ist essenziell, um zu versehen, wie diese ebenso widerborstige wie sensible und leidenschaftliche Frau tickt. Rose-Lynn ist erst Anfang 20 und hat doch eine Menge erlebt. Ihre beiden Kinder hat sie lange vor ihrer Volljährigkeit bekommen und zieht sie ohne Vater groß. Die meiste Energie steckt sie in ihren Traum vom einem Leben als Country-Star, am liebsten im Szene-Mekka Nashville/Tennessee. Sobald sie sich dem Country-Sound hingibt, ist ihr prekäres Dasein am Rand von Glasgow weit weg und sie ganz bei sich. Wenn Rose-Lynn singt, findet sie eine Sprache für ihre Wünsche und ihre Sehnsüchte. Es ist der Schlüssel zu ihrem Selbstwertgefühl. „Drei Akkorde und die Wahrheit“, das bedeuten die Klänge von Johnny Cash & Co. für sie.

Im Laufe der Geschichte wird es darum gehen, diesen Traum umzusetzen, ohne andere und anderes dabei zu vernachlässigen. Dabei ist die junge Frau zunächst allein auf sich gestellt. Ihre Mutter Marion hält gar nichts von der Vision ihrer Tochter. Um sie, wie sie meint, auf die gerade Spur zu bringen, verschafft Marion ihr einen Job als Putzfrau bei einer deutlich bessergestellten Familie. Für Rose-Lynn ist es ein Glücksfall: Die Dame des Hauses erkennt ihr Talent und fördert sie.

Dank Susannahs Hilfe scheint Nashville zum Greifen nah. Doch als das große Reunion-Konzert mit ihrer Band ansteht, rächt es sich, dass Rose-Lynn ihrer Chefin nicht alles über sich gesagt hat. Am Boden zerstört fügt sie sich nun in die Bahnen, die ihre Mutter ihr bereitet. Doch niemand kann sich wirklich vorstellen, dass ein Dasein mit Kindern, Aushilfsjobs und Haushalt das Ende von Rose-Lynn Weges bedeutet.

Die Stärke des Films liegt in der Heldin

Die von der irischen Schauspielerin Jessie Buckley verkörperte Protagonistin ist ein weiterer jener liebenswert-schrulligen Charaktere in britischen Sozialdramen und ebensolchen Komödien, die mit einer scheinbar grandiosen Idee ihrem tristen Alltag entfliehen wollen und dabei immer wieder an sich selbst scheitern. Man denke nur an „Ganz oder gar nicht“ oder das Werk von Ken Loach. Wer entsprechende Vergleiche zieht, findet die Handlung von „Wild Rose“ womöglich nicht besonders originell. Auch die Eindrücke von Rose-Lynns Glasgower Kontext jenseits der Musik sind eher Kulisse, als wirklich zu dieser, in einem prekären Milieu beheimateten, Erzählung beizutragen.

Die Stärke des Films liegt in dem intensiven Blick auf die Wandlung der, wenn man so will, Heldin. Aus der überdrehten Chaotin, die vom Durchbruch in Amerika träumt, wird eine auch durch ihre schlechten Erfahrungen gereifte Frau, die einen Neuanfang wagt, indem sie sich auf ihre Familie und einen vergleichsweise biederen Broterwerb fokussiert. Erst eine weitere Zäsur weist ihr einen Weg, die Leidenschaft für die Musik und ihr Familienleben – um nicht zu sagen: Freiheit und Notwendigkeit – vielleicht doch unter einen Hut zu bekommen.

Aus Niedergeschlagenheit folgt unbändige Energie

Hauptdarstellerin Jessie Buckley zieht einen auf diesem Pfad der oftmals trügerischen Hoffnungen sofort in ihren Bann. Sie verleiht Rose-Lynn auch in den Momenten größter Niedergeschlagenheit eine unbändige Energie, geht aber auch in anderen Stimmungslagen aufs Ganze. Faszinierend ist zudem, wie sich die innere Entwicklung ihrer Figur an ihrem Äußeren ablesen lässt.

Und da wäre natürlich noch die Musik. Fast möchte man sagen, dass nicht nur Rose-Lynn, sondern der gesamte Film vor allem dann ganz bei sich ist, wenn die ansonsten so ungelenk agierende Frau in den weißen Cowgirlstiefeln melancholische Balladen anstimmt oder kräftig röhrt. Auch wer Country-Klängen sonst wenig abgewinnt, kann sich der emotionalen Wucht von Jessie Buckleys Stimme und ihrer Performance kaum entziehen. Die Soundtrack stammt übrigens zum größten Teil aus der Feder der knapp 30-Jährigen und von Drehbuchautorin Nicole Taylor.

Mit 17 Jahren war Jessie Buckley einst von Irland nach London aufgebrochen, um dort als Sängerin durchzustarten. Das, was Rose-Lynn widerfährt, ist daher auch ein bisschen ihre eigene Geschichte. Und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an das musikverrückte Glasgow.

„Wild Rose“ (GB 2018), Regie: Tom Harper, mit Jessie Buckley, Julie Walters, Sophie Okonedo, James Harkness u.a., 101 Minuten, Kinostart: 12. Dezember

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