Kultur

Wie und warum ist die soziale Sicherung in Deutschland finanzierbar und notwendig?

von Die Redaktion · 25. November 2005

Sozialpolitik, so Butterwegge, trägt ganz entscheidend zur Modernisierung der Gesellschaft bei, indem sie die materiellen Voraussetzungen für neuartige (industrielle) Produktionsverfahren, andere Lebensformen und sich ständig wandelnde Generationen- wie Geschlechterverhältnisse schafft. Sogar Neoliberale fordern vom Staat, die Armut zu bekämpfen, um sicher vor Gewalt und Kriminalität zu sein.

Butterwegge beschreibt, dass in der Weimarer Republik die Demontage des Sozialstaates und der Demokratie parallel verliefen. Je mehr sich die SPD am Abbau sozialer Sicherung beteiligt habe, desto weniger ihrer früheren Wähler seien zur Wahl gegangen und desto mehr hätten für die KPD oder für die NSDAP votiert.

Der Ölpreisschock im Herbst 1973 habe wesentlich dazu beigetragen, dass Helmut Schmidt die Umstellung des Sozialstaates auf das Ziel der "Standortsicherung" eingeleitet habe. Butterwegge weist nach, dass die Folgeregierungen, außer z.B. im Pflegebereich oder der Familienpolitik, nur noch Einschnitte in die soziale Absicherung vorgenommen haben.

Die Quote der Sozialleistungen in Deutschland hätten sich 1995 gerade noch knapp oberhalb des Durchschnitts der EU-Staaten befunden. Mit der Agenda 2010 und den sog. Hartz-Gesetzen, habe die rot-grüne Regierung die schärfsten Einschnitte in die soziale Situation von Lohn- und Gehaltsabhängigen und jenen, die Sozialtransfers beziehen, innerhalb aller 15 westeuropäischen Ländern (ohne Osteuropa), durchgeführt. Gleichzeitig sei das Bruttoinlandsprodukt, das Volksvermögen und die Arbeitsproduktivität gestiegen. An diesen Sachverhalten könne man erkennen, dass ein immer größerer Anteil des wachsenden Reichtums nicht mehr der Gesellschaft zur Verfügung stehe, sondern in den "Privatschatullen" weniger Menschen verschwinden würde.

Eine in der Politik und den Medien vorherrschende Argumentation verteidige diese Umverteilung des Reichtums. Aber die Rentensicherheit hänge weniger vom Durchschnittsalter der Bevölkerung, als vielmehr von der Verteilung des Reichtums auf Klassen, Schichten und Altersgruppen ab. Als Lösung für die fehlende Beitragszahler/innen schlägt Butterwegge vor die Arbeitslosigkeit konsequenter zu bekämpfen, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen, die Zuwanderung zu erleichtern und /oder den Kreis der Versicherten zu erweitern.

Nach Butterwegge würden entgegen der gängigen öffentlichen allgemeinen Behauptungen auch die Nachkommen nicht gleichmäßig durch Staatsschulden belastet. Ein Teil von ihnen profitiere von Zinsen aus geerbten Schuldverschreibungen des Staates. Problematisch für die Kinder und Enkel sei vielmehr eine Politik der Haushaltskonsolidierung, die nicht genug Geld für Schule und Hochschule übrig lasse.

Ausführlich und differenziert setzt sich Butterwegge mit den führenden sozialpolitischen Richtungen der SPD als parteipolitische Repräsentanz des deutschen Wohlfahrtsstaates und ergänzend mit den politischen Entwicklungen der anderen Partein auseinander.

Der Autor favorisiert schließlich einen Wertschöpfungsbeitrag, wie die Maschinensteuer, eine einheitliche solidarische Bürgerversicherung und eine soziale Grundsicherung als Weiterentwicklung des deutschen Sozialstaates.

Karin Müller

Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates, VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2005, 318 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 3810041386

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