Wie perfide Europas Rechtspopulisten die Geschichte instrumentalisieren
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Es ist nur ein kleines Taschenbuch, 140 Seiten, aber die haben es in sich. „Schleichend an die Macht“ haben die Herausgeber Andreas Audretsch und Claudia C. Gatzka ihren genauen Blick auf einige europäische Länder und die Neue Rechte genannt. Die Autoren haben besonders auf Deutschland, Italien und Ungarn geschaut. Der Trick der Rechten ähnelt sich in diesen (und anderen) Ländern: „Für die Attraktivität und damit den Erfolg der rechtspopulistischen Zukunftsvision ist es entscheidend, die Vergangenheit als goldenes Gestern zu präsentieren.“
Gauland: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“
Die Rechten nicht nur in Europa haben stets mit schöner Offenheit über ihre Ziele gesprochen. So drohte Alexander Gauland von der AfD nach der Bundestagswahl 2017: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“
Die neue Deistigkeit der Parteien am rechten Rand ist kein deutsches Phänomen, daran erinnern die Autoren Paul Jürgensen und Hedwig Richter: „Ähnlich wie die Parolen 'Make America Great Again' in den USA oder 'Take Back Control!' in den USA und in Großbritannien zeichnet Gaulands Aussage eine Zukunftsvision, in der sich eine romantisch verklärte Vergangenheit erfüllen soll.“
Das ständige Trommeln der Rechten hat Wirkung
Typisch für Rechtspopulisten – nicht nur in Deutschland – ist das Schüren von Ängsten gegenüber jeder Form von multikulturellen Einstellungen. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn ein Frauenbild von vorgestern beschworen wird. Die französische Rechte Marine Le Pen etwa erklärte nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016, „dass die Flüchtlingskrise den Anfang vom Ende der Frauenrechte bedeutet.“
Man könnte mit einem Achselzucken darüber hinweggehen, nach dem Motto: Spinner gibt es immer und überall. Doch das ständige Trommeln der Rechten – und die mediale Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird – hat Folgen. All jene, die sich schwer tun mit einer komplizierten Gegenwart, mit all den Umbrüchen und Unsicherheiten, finden bei den Rechten eine Stimme, die sie in ihrem Unbehagen bestärkt. Sie glauben ihren Verführern, dass früher alles besser war und dass sich dieses „früher“ zurückholen lässt. Die Autoren schreiben: „In Deutschland beschwört die AfD über 1000 Jahre glorreichen Deutschtums. In Italien inszeniert sich Matteo Salvini in der Tradition itelienischer Freiheitskämpfer. In Ungarn will Viktor Orban sein Land zu 'historischer Größe' zurückführen.“
Auch in der Corona-Krise soll Nationalismus die Lösung sein
Selbst die weltweite Corona-Krise wird genutzt, ein neuer oder vielmehr alter Nationalismus soll wieder eimal die Lösung sein. Welches Unglück genau dieser Nationalismus über Europa gebracht hat, wird natürlich ignoriert. Für Alexander Gauland und seine Gesinnungsgenossen waren die Nazis beispielsweise „nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“
Die Autoren zitieren den Historiker Fritz Stern, der über diese Revolutionäre von rechts geschrieben hat: „Ihre Anhänger wollten die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginierten Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden.“
Man ahnt nach der Lektüre dieses Buches, wie groß die Sehnsucht nach vermeintlich einfacheren Zeiten mit klaren Regeln noch werden könnte, wenn die Zeiten einmal schwieriger werden. Das ist ja stets das Rezept der Rechten gewesen: Die Vergangenheit wird verklärt, in der Gegenwart schürt man den Unmut all der Menschen, die sich vor Veränderungen ängstigen. Ein durch und durch lesenswertes Buch, das ganz ohne marktschreierische Töne auskommt!
„Schleichend an die Macht“, herausgegeben von Andreas Audretsch und Claudia Gatzke, Verlag J.H.W. Dietz, 140 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8012-0582-9
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.