Kultur

Wie ein syrischer Flüchtling einem Deutschen Deutschland erklärt

Der eine hat Deutschland bewusst den Rücken gekehrt, für den anderen ist es das Ziel seiner Flucht: Als sich Florian Schmitz und Soumar Abdullah zufällig begegnen, merken sie schnell, dass sie mehr gemeinsam haben als sie zunächst denken. Aus ihrer Geschichte ist nun ein Buch entstanden.
von · 26. Mai 2017
Der eine kommt, der andere geht: Soumar Abdullah (l.) und Florian Schmitz verbindet eine gemeinsame Geschichte, die jetzt als Buch erschienen ist.
Der eine kommt, der andere geht: Soumar Abdullah (l.) und Florian Schmitz verbindet eine gemeinsame Geschichte, die jetzt als Buch erschienen ist.

„Eigentlich hat mein Hund Soumar zuerst kennengelernt“, sagt Florian Schmitz und grinst Soumar Abdullah an. Der grinst zurück. Die beiden sitzen sich in einem Kreuzberger Café gegenüber, sie sind etwas übernächtigt: Am Vorabend haben sie bei einer Lesung Schmitz’ Buch vorgestellt und darauf angestoßen. „Erzähl mir von Deutschland, Soumar“ heißt es und erzählt die Geschichte einer Freundschaft – der zwischen Florian, dem in Thessaloniki lebendem Deutschen, und Soumar, dem nach Bremen geflüchteten Syrer.

Über die Türkei nach Deutschland

Die beiden lernen sich 2015 auf einer Fähre in der griechischen Ägäis kennen. Florian und sein Hund Nondas kommen frisch aus dem Urlaub auf Ikeria. Soumar ist aus Syrien über die Türkei gereist, wurde von dort mit einem Gummiboot auf eine der vielen griechischen Inseln verfrachtet und will nun über das griechische Festland und die Balkanroute nach Deutschland. Sein Ziel: Bremen, dort hat er eine gute Freundin.

Dank des diplomatischen Geschicks seines Hundes – der sich ungehemmt auf den Fremden stürzt – kommt Florian mit Soumar ins Gespräch. Der, erfährt Florian, ist Ende 20 und aus Damaskus. In Aleppo hat er Ingenieurswissenschaften studiert, aber kein Examen gemacht: Ein Bombenangriff auf die Universität setzte seinem Studium ein jähes Ende. Als Soumar beschloss zu fliehen, kam für ihn als Ziel nur Deutschland in Frage: „Das Bild, das ich von Deutschland hatte, war einfach, dass alles hier eine sehr hohe Qualität hat. Und hier ist man frei, man darf alles sagen, was man sagen will.“

Nur noch weg aus der Heimat

Florians Deutschlandbild ist nicht annähernd so positiv wie das seiner neuen syrischen Bekanntschaft, er wollte irgendwann nur noch weg aus der Heimat: „In Deutschland hatte ich keinen Erfolg und Berlin, wo ich wohnte, ist eine sehr konkurrenzbetonte Stadt.“ Also folgte Florian, der Literaturwissenschaft und Spanisch studierte hat, 2013 seinem griechischen Partner nach Thessaloniki. Dort lebt er seitdem als freier Autor und Journalist.

Nach ihrer Begegnung auf der Fähre bleiben der Deutsche und der Syrer in Kontakt, auch als Florian schon längst wieder zurück in Thessaloniki ist und Soumar es nach Bremen geschafft hat – so gerade eben noch, ein paar Wochen später macht Ungarn seine Grenzen dicht. Sie schreiben sich Nachrichten, skypen, sprechen über alles Mögliche und stellen dabei fest, dass sie vieles gemeinsam haben: Beide sind Fremde in dem Land, in dem sie leben, müssen eine fremde Sprache meistern, sich mit einer fremden Kultur auseinandersetzen.

Florian Schmitz ist erstaunt, wieviel er durch Soumar über Deutschland erfährt – sein syrischer Freund blickt mit anderen Augen auf die Heimat, die Schmitz selbst so entnervt verlassen hat. In ihm wächst eine Idee: Warum daraus nicht ein Buch machen? Ein Buch darüber, wie ein syrischer Flüchtling einem Deutschen dessen Land näherbringt?

Als Besucher zurück nach Deutschland

Soumar Abdullah weiß zunächst nicht, was er sagen soll. Die Facebook-Nachricht, in der sein Freund ihm das Projekt vorschlägt, liest er viermal. Er, der nur mit einem Rucksack aus Syrien geflohen ist, soll Protagonist eines Buches werden? Das kann er sich nicht so richtig vorstellen. „Aber dann habe ich einfach beschlossen: go for it!“, sagt er und lacht. Weil Florian Schmitz das Internet als Kommunikationsmittel nicht reicht, besucht er Soumar Abdullah mehrfach in Bremen, wandert mit ihm durch die Stadt, nimmt an seinem Leben teil.

„Ich kam als Besucher zurück nach Deutschland“, erklärt Schmitz, „und bin dann auch noch an Orte gereist, zu denen ich vorher keine Verbindung hatte. Wie zum Beispiel Bremen.“ Dort lernt der Auswanderer, wie tief bei ihm die Vorurteile gegenüber dem eigenen Land sitzen. Beispiel Fußball: Dass diese Sportart viel mehr ist als nur Gekicke wollte Schmitz lange nicht verstehen. Fußballfans fand er blöd und auch ein bisschen asozial. Ein Abend mit Soumar und dessen Bekannten in einer Bremer Fußballkneipe zeigt ihm schließlich, dass Fußball ein kulturelles Phänomen ist, etwas, das die Menschen zusammenbringen kann.

Die Privilegien eines Deutschen

Florian Schmitz wird bewusst, wie viele Privilegien er als Deutscher hat und wie wenige Soumar Abdullah als Syrer. Dieser hat sich in Bremen gut eingelebt, hat eine eigene Wohnung, eine feste Freundin und ein soziales Umfeld. Die deutsche Sprache fällt ihm noch schwer, aber er besucht täglich einen Sprachkurs und hofft, dass es irgendwann leichter wird. Er ärgert sich darüber, dass ihm oft Wörter fehlen, die passenden Begriffe, dass er sich nicht so ausdrücken kann, wie er es auf Arabisch tut. Mit Florian Schmitz spricht er Englisch – der kennt das Sprachenproblem aus eigener Erfahrung: Als er nach Griechenland zog, konnte er kaum ein Wort Griechisch.

Daneben gibt es noch andere Dinge, die den Deutschen und den Syrer verbinden, etwa ihr Atheismus. Aber da sind natürlich auch die Unterschiede: Wenn Florian Schmitz es möchte, kann er jederzeit nach Deutschland reisen, um seine Familie zu besuchen, er kann ohne Probleme Urlaub in Marokko machen. Soumar hingegen kann nicht zurück und hat keine Reisefreiheit. Wird seine Familie ihm nach Deutschland folgen? Soumar Abdullah schüttelt den Kopf: „Ich höre so oft, dass meine Familie doch auch fliehen soll. Aber so einfach ist das nicht. Ich bin jung, ich kann mir woanders etwas Neues aufbauen. Mein Vater ist schon älter, der kann das nicht.“ Seine Eltern, sagt Abdullah, wollen nicht in Syrien bleiben – aber sie wollen auch nicht weg.

Freund statt Integrationshelfer

Nur langsam hat Florian Schmitz sich von seinem „Helferkomplex“ freigemacht. Am Anfang wollte er immer Projekte für Soumar Abdullah finden, ihm Ideen liefern: Eine Stadtführung durch Bremen, geleitet von einem Flüchtling, wäre das nicht toll? Aber Abdullah kriegt sein deutsches Leben auch so ganz gut hin – er braucht Schmitz nicht als Integrationshelfer, sondern als Freund. Für die Zukunft hat er momentan eher vage Pläne. Er hofft, irgendwann im Bereich Ingenieurswissenschaften arbeiten zu können, befürchtet aber, dass seine in Syrien erworbenen Abschlüsse ihm in Deutschland nicht viel nützen.

Sozialarbeiter sein, das könnte er sich auch vorstellen. Florian Schmitz nickt: „Wir brauchen hier Leute wie Soumar, wenn Integration gelingen soll.“ Jemanden, der Arabisch spricht und einen Zugang zu Teenagern finden kann, um sie davon abzuhalten, für den IS zu kämpfen. Mit seinem Buch will Florian Schmitz einen kleinen Beitrag zur Integrationsdebatte leisten – und erreichen, dass die Menschen wieder mehr Fragen stellen, statt nur Meinungen zu verbreiten. So simple Fragen wie: Woher kommst du? Florian Schmitz und Soumar Abdullah jedenfalls scheinen die Fragen an den jeweils anderen nicht so schnell auszugehen.

node:vw-infobox

0 Kommentare
Noch keine Kommentare