Wie ein Bergbauer seinen Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben bezahlt
Reiner Bajo
Manchmal beginnt ein Akt des Widerstandes damit, sich treu zu bleiben oder einfach mal gar nichts zu tun. Franz Jägerstätter bezahlte diese Haltung mit seinem Leben. Während des Zweiten Weltkrieges weigert sich der Bergbauer beharrlich, für Hitlers Wehrmacht zu kämpfen. 1943 wird der tiefreligiöse, aber durchaus kirchenkritische Familienvater wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Eine radikale Art der Selbstbehauptung
Lange Zeit wurde von Jägerstätters Lebensweg, der für eine radikale Art der Selbstbehauptung jenseits jeglicher Ideologie steht, kaum Notiz genommen. Seit den 70er-Jahren entstanden eine Reihe von Spielfilmen, Dokumentationen und Theaterstücken. Mit seinem bildgewaltigen Epos „Ein verborgenes Leben“ reiht sich US-Regisseur Terrence Malick in diesen Reigen ein.
Der Titel deutet es bereits an: „Ein verborgenes Leben“ erzählt davon, wie ein im Grunde unauffälliger Mensch sich in einer scheinbar abgelegenen Sphäre darum bemüht, das Richtige zu tun. Das bedeutet, dass sich Jägerstätter nach Kriegsausbruch nicht der Euphorie und dem großdeutschen Wahn hingibt, die den Rest der Dorfgemeinschaft erfasst haben. Vor allem die Berichte über Kriegsgräuel und „Euthanasie“-Morde schrecken ihn ab. Umso mehr findet dieser gleichsam dickköpfige wie stoische Mensch seine Erfüllung mit Frau und Kindern und als Messner in der Dorfkirche. Und auch in der schweren Landarbeit im Rhythmus der Jahreszeiten.
Bewusste Entscheidung
Dieser Rahmen, wie auch seine Belesenheit, geben ihm Kraft und Sicherheit. An diesem unerschütterlichen Fundament prallen jegliche Versuche, ihn zum Mitläufer zu machen, ab. Als er die Einberufung zur Wehrmacht zunächst ignoriert und später in der Kaserne den Eid auf Hitler verweigert, setzt sich eine tödliche Maschinerie in Gang, die der Protagonist ganz bewusst in Kauf nimmt.
Um diese wenigen Monate in Jägerstetters Leben zu erzählen, nimmt sich Malick gut drei Stunden Zeit. Und dabei ist keine Minute zu viel. Im Gegenteil. Erst so kann sich die Geschichte in ihrer ganzen Tiefe entfalten. In langen Einstellungen wird uns gezeigt, was dieses Dasein „im Richtigen“ ausmacht, wo seine Wurzeln liegen. Wir sehen Berge und Felder, zum Teil wiederholt und in verschiedenen Jahreszeiten aufgenommen. Man spürt die Verbundenheit mit seiner Frau Fani, wenn die beiden wortlos miteinander auf einer Wiese liegen oder die auch Liebe zu den Kindern, wenn der Vater mit den Töchtern vor dem Haus herumtollt. Es mag paradox klingen: Jägerstätter fühlt sich durch diese geliebten und ihn liebenden Menschen darin bestärkt, seine kompromisslose Position nicht zu verlassen, obwohl klar ist, dass er dadurch alles verlieren wird.
Größer als Politik
Die besondere Kraft dieser häufig an Originalschauplätzen eingefangenen Bilder rührt auch daher, dass sie fast ausschließlich in natürlichem Licht entstanden sind. Es ist eine Kraft, die wohl auch suggerieren soll, dass diesen Franz Jägerstätter etwas umgibt, das viel größer ist als die Verwüstungen einer verbrecherischen Politik, die irgendwann Vergangenheit sein wird.
Malick, den man hierzulande vor allem mit dem Familiendrama „Tree Of Life“ (2011) verbindet, hat sich mit der – wenn man so will – spirituellen Überhöhung seiner Filme nicht nur Freunde gemacht. In „Ein verborgenes Leben“ ist diese Bildsprache allerdings hochpolitisch, weil darin ein Gegenentwurf für eine aus dem Ruder gelaufene Welt zu sehen ist. Das bäuerliche Leben, in dem die Zeit scheinbar stehen geblieben ist, erscheint dabei keinesfalls als reines Idyll.
Außerdem bilden jene Bilder, deren Wirkung man sich schwer entziehen kann, ein wesentliches Standbein der Erziehung. Der Film folgt in linearer Weise den letzten Lebensstationen Jägerstätters bis zum Fallbeil in Brandenburg an der Havel. Doch immer wieder kehren seine Gedanken zurück in sein bisheriges Leben, das er ganz bewusst geopfert hat.
Überraschende Leichtigkeit
Häufig sind diese Einstellungen mit Zitaten aus nachgelassenen Tagebuchaufzeichnungen oder auch aus Briefen der beiden Eheleute unterlegt. Diese als Voiceover eingebauten Textausschnitte kommen auch dann zum Einsatz, als der unangepasste Landwirt längst unwiederbringlich in die Mühlen der NS-Militärjustiz geraten ist.
Während dieses, von der traurigen Gegenwart längst enthobenen Bewusstseinsstroms dringen die Zuschauenden immer tiefer in das Wesen des Protagonisten vor, der sich keinesfalls als Märtyrer sieht. „Meines ist das leichteste Kreuz“, schreibt Franz Jägerstätter hinter Gittern. Es ist auch diese (innere) Leichtigkeit, die diesen Film trotz des bekannten Endes so wenig vorhersehbar und so berührend macht.
Info: „Ein verborgenes Leben“ (Deutschland/USA 2019), ein Film von Terrence Malick, Kamera: Jörg Widmer, mit August Diehl, Valerie Pachner, Maria Simon, Tobias Moretti, Bruno Ganz u.a., 173/180 Minuten (DVD/Blu-ray), ab zwölf Jahren.
Ab 3. Juli auf DVD und Blu-ray.
In den kommenden Wochen pausiert diese Rubrik. Der nächste Filmtipp erscheint am 23. Juli.