Kultur

„Where to, Miss?“: Wie eine junge Inderin ihren Taxi-Traum verwirklicht

Ein Taxijob als großes Versprechen: Der Dokumentarfilm „Where to, Miss?“ erzählt davon, wie eine junge Inderin um Selbstbestimmung kämpft.
von ohne Autor · 20. Januar 2017
„Where to, Miss?“: Gefährlicher Arbeitsplatz: Devki unterwegs in Delhi.
„Where to, Miss?“: Gefährlicher Arbeitsplatz: Devki unterwegs in Delhi.

Nachts im Verkehrschaos von Delhi: Autos und Menschen strömen von allen Seiten ins Bild. Die bohrenden Blicke der Männer durch die Fenster ins Innere des Wagens sind geradezu zu spüren: Sie gelten einer jungen Frau in Jeans, T-Shirt und mit dem Smartphone am Ohr, die gerade ihren Job macht. Devki ist Taxifahrerin. Keine Selbstverständlichkeit in Indien, wo Frauenrechte im Alltag wenig gelten. Angst oder Wut? Man fragt sich, was in diesem Moment in Devki vorgeht.

Frauenrechte in Indien

Es ist eine der eindringlichsten Szenen im Film, den die Regisseurin Manuela Bastian als Studienarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg produziert hat. Nicht nur angesichts des knappen Budgets ist die Arbeit der 1987 geborenen Studentin herausragend. Drei Jahre lang reiste sie jeweils für einen Monat zum Dreh nach Südasien.

Bastian erzählt davon, wie Devki dafür kämpft, ihren Taxi-Traum zu verwirklichen. Für sie ist es nicht einfach nur ein Job, sondern ihr Weg zur Selbstständigkeit und Selbstbestimmung. Und das in einer Branche, die auf dem Subkontinent noch immer eine Männerdomäne ist. Eine indische Nichtregierungsorganisationen will sie aufbrechen, indem sie Mädchen und jungen Frauen aus ärmeren Schichten einen Ausbildungsplatz vermittelt. Neben den Fertigkeiten als Fahrerin werden sie in Englisch und Selbstverteidigung geschult. Später steuern sie Autos, die ausschließlich für Frauen bestimmt sind. So auch Devki.

Internationaler Aufschrei

Der NGO und ihren Partnern geht es dabei nicht nur um eine Job-Perspektiven für Benachteiligte: Es ist auch ein Zeichen gegen die noch immer vorherrschende Diskriminierung des weiblichen Geschlechts. Seit vor gut fünf Jahren eine Studentin nach einer Gruppenvergewaltigung in einem Bus in Delhi qualvoll starb, gehen indische Frauenrechtlerinnen immer wieder auf die Straße. Der Exzess sorgte auch international für Aufsehen.

Im Film schwingt der gesellschaftspolitische Diskurs aber nur im Hintergrund mit. Bastian konzentriert sich ganz auf Devki und ihre unmittelbare Umgebung. Stets ist die Abneigung ihrer Nächsten gegenüber dem, was ihr alles bedeutet, greifbar. „Die Frau gehört drei Menschen“, sagt ein indisches Sprichwort. „Zuerst dem Vater, dann dem Ehemann und zuletzt dem Sohn.“ Es beschreibt das Dilemma zahlloser indischer Frauen, die, wie auch Devki, häufig als halbe Kinder zwangsverheiratet werden. Bastian folgerte daraus die Struktur ihres Films: In drei Kapiteln befasst sie sich mit Situationen, die Devkis Rolle als Tochter, Ehefrau oder Mutter betonen.

Mit Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet

Auch Bastian hatte anfangs all die düsteren Bilder im Kopf, die einem zum Stand der Gleichberechtigung in Indien einfallen. Ihr Dokumentarfilm, der im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet wurde, weitet den Blick und zeigt, wie sich Frauen selbst und gegenseitig helfen. Und welche Widerstände dabei auszuhalten sind. Im kargen Wohnzimmer thront der strenge Vater, ein wenig zimperlicher Fliesenmeister, und duldet keinen Widerspruch. Wenn Devki hingegen mit ihrer Freundin durch die 16-Millionen-Stadt kurvt, blüht sie auf.

Zu erleben ist aber auch, wie manch ein Traum eine unerwartete Wendung nimmt. Mit einem Taxikollegen will Devki erneut – diesmal allerdings freiwillig – ins Eheleben starten. Als sie mit dem Bräutigam zur traditionsbewussten Familie ins bergige Hinterland fährt, trifft sie auf eine fremde Welt: Dort haben Frauen – noch um ein Weiteres entschiedener als im „Flachland“ – vor allem Kinder zu bekommen und zuhause zu bleiben. Devkis Schwiegervater behandelt sie wie eine Gefangene und garniert dies mit unerträglichen Sprüchen. Muss Devki die Familie opfern, um ihren Weg zu gehen?


Devki steht die ganze Zeit lang im Mittelpunkt dieser intensiven, in ihrer Epik fast schon an einen Spielfilm erinnernden Erzählung. Diese schildert nicht nur den Kampf einer energischen jungen Frau gegen verkrustete Strukturen und Traditionen, sondern macht eben diese sinnlich erfahrbar. Interviews und Kommentare hätten das Ganze noch einordnen können, andererseits wirkt die Geschichte gerade durch die persönliche Perspektive. Es ist ein permanenter Schwebezustand. Je nach Gefühlslage der Protagonistin trägt der Film düstere oder fröhliche Farben. Hoffnung und Verzweiflung liegen dicht beieinander. So wie an jedem Tag in Devkis Leben.
 

Info: Where to, Miss? Eine Frau kämpft für ihren Traum“ (Deutschland 2015), ein Film von Manuela Bastian, OmU, 83 Minuten. Jetzt im Kino

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