Er fühlt sich bisweilen sehr alleine auf der Welt, "wie der einzige Überlebende einer weit zurückliegenden Katastrophe": Adrian Weynfeldt. Seine Möbel, seine Bilder und er selbst - "Zeugen
einer untergegangenen Kultur, die niemand je wieder aufrufen würde." Der Spross einer Industriellenfamilie ist in seinen 50ern und hat mehr Geld als er ausgeben kann. Zu seinem Vergnügen arbeitet
er für das Auktionshaus "Murphy's", als Experte für Schweizer Kunst. Mit Frauen hat er seit langem abgeschlossen. Genau genommen, seit seine große Liebe - Daphne - sich von ihm trennte und
tödlich verunglückte.
Geregelte Bahnen
Sein Leben verläuft ruhig. Weynfeldt klammert sich an Regelmäßigkeiten wie seine vierzehn Pyjamas mit Monogramm - blauweiß gestreifte für ungerade Tage, hellblaue für gerade und weiße für
Sonntage. Seine so genannten Freunde, die er großzügig aber unauffällig finanziell unterstützt, trifft er an jeweils denselben Wochentagen zum Essen. Dabei ist Adrian Weynfeldt in einem Maße
rücksichtsvoll, höflich und wohlerzogen, das an die Grenzen des Erträglichen geht.
In dieses beschauliche Leben tritt Lorena: Das gescheiterte Model ist Ende 30, rothaarig und hat auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit Daphne. - Genug um bei Weynfeldt den Suterschen
Veränderungsprozess einzuleiten. Nachdem er sie in angetrunkenem Zustand mit nach Hause genommen, und selbstverständlich nicht mit ihr geschlafen hat, findet er sie am nächsten Morgen auf seinem
Balkon - bereit zum Sprung.
Rettende Veränderung
Sie springt nicht und macht ihn ab diesem Zeitpunkt für ihr Leben verantwortlich. Die Femme Fatale klaut, trinkt, betrügt und hat Geldsorgen. Letztlich ist sie aber doch ein
hilfsbedürftiges Wesen das dringend einen Retter braucht. Und der möchte Adrian Weynfeldt auch gerne sein.
Als wäre all das nicht Aufregung genug sieht der noble Ritter sich plötzlich in einen Fall von Kunstfälschung verstrickt. Es geht dabei um das Gemälde "Femme nue devant une salamandre" des
Schweizer Malers Félix Vallotton. Dieser Rückenakt spielt die dritte Hauptrolle im Roman und ziert das Cover des Buches.
Weynfeldt muss erkennen, dass seine Freunde ihn betrügen. Und dank der von Lorena initiierten Veränderung setzt er sich diesmal - entgegen seiner sonstigen, der guten Kinderstube
geschuldeten, Gewohnheit - zur Wehr. Es kostet ihn Kraft, treibt den Wandel aber weiter voran. Letztlich geht Adrian Weynfeldt als lachender Sieger aus der Geschichte hervor. Und wie das in
Hollywood und Bestsellerromanen üblich ist, bekommt er am Ende auch das Mädchen.
Die Erzählung, die Martin Suter entspinnt, ist nicht unspannend. Die Charaktere sind allerdings zu klischeehaft als das sie interessant wären. So ist etwa Adrian Weynfeldt nicht auf
charmante Weise anachronistisch. Suter betont das zu sehr, schlachtet jedes Klischee aus. Weynfeldt trägt Maßanzüge, ist ein zurückhaltender Feingeist - Handy und Computer überfordern ihn
allerdings ebenso sehr wie sein Anrufbeantworter.
Die wenigen Lesestunden derer "Der letzte Weynfeldt" bedarf sind kurzweilig. Mit der Auflösung der Geschichte hat es sich mit dem Buch dann allerdings erledigt. Es bleibt nichts, worüber
man nachdenken könnte oder wollte. Fall abgeschlossen - aber der nächste Suter kommt bestimmt.
Birgit Güll
Martin Suter: "Der letzte Weynfeldt", Diogenes, 320 Seiten , ISBN 3-257-06630-9, 19,90 Euro
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.