Kultur

"Wenn Sie das links nennen wollen, bitte."

von Ramon Schack · 11. April 2012

Im letzten Jahr wurde Eugen Ruge für seinen Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ gefeiert, anfang diesen Jahres hat er die Memoiren seines Vaters Wolfgang Ruge herausgegeben. Im Interview mit vorwärts.de spricht er über seinen persönlichen Bruch mit der DDR und erklärt, warum sein Vater das Land nicht verlassen wollte.

vorwärts.de: Herr Ruge, Herbert Wehner hat einmal gesagt, er könne kein Buch darüber schreiben, was er an Leiden miterlebt und mit angesehen hat, in den Jahren des großen Terrors in der Sowjetunion. Hatte Ihr Vater Wolfgang Ruge ähnliche Probleme, als er mit der Niederschrift seiner Erinnerungen an seine Zeit in der Sowjetunion begann?

Eugen Ruge: Man kann das Schicksals Herbert Wehners nur schwer mit dem meines Vaters vergleichen. Wehner gehörte damals zur internationalen Partei-Elite. Er wohnte zusammen mit anderen hohen Funktionären im Hotel Lux in Moskau. Mein Vater kam mit sechzehn Jahren in die Sowjetunion als ein Niemand, ohne Parteifunktion. Er war in keiner Weise in Intrigen und Machenschaften verwickelt. Er wurde nach Hitlers Überfall deportiert, weil er deutscher Herkunft war.

Trotzdem waren sowohl Wehner, wie auch Ihr Vater, bei aller Unterschiedlichkeit in der Biographie gläubige Kommunisten, die die Sowjetunion zunächst als "Gelobtes Land" betrachteten. Warum haben sich Ihre Eltern, nach den Erfahrungen in der Sowjetunion, drei Jahre nach Stalins Tod, bei ihrer Rückkehr nach Deutschland für die DDR entschieden?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum Zeitpunkt der Ankunft meiner Eltern in der DDR begann ja gerade die von Chruschtschow eingeleitete Entstalinisierung. Die Periode des sogenannten Tauwetters. Mein Vater glaubte, jetzt würde der wahre Sozialismus aufgebaut. Er blieb ja auch bis zu seinem Lebensende Marxist, wenn seine Distanz zum SED-Regime, zur DDR, Jahr für Jahr größer wurde. 

Sie selbst wurden noch in der Sowjetunion geboren und kamen im Alter von 2 Jahren in die DDR. Wie hat sich die Biographie Ihres Vaters  persönlich auf Ihr Verhältnis zur DDR ausgewirkt? 

Ich wusste schon als Kind von den Erlebnissen meiner Eltern in der Sowjetunion. Auch die Verbrechen Stalins wurden nicht verschwiegen. In der Öffentlichkeit durfte natürlich nicht darüber gesprochen werden. Über dieses blutige Kapitel wurde in der DDR der Mantel des Schweigens gelegt. Durch dieses Wissen entwickelte ich früh Distanz zu jeder Form von Ideologie. 

1988 haben Sie die DDR verlassen. Können Sie sich noch erinnern, ab wann Sie persönlich mit der DDR gebrochen haben? 

Das ist ein langer Prozess. Es beginnt mit der inneren Distanz, die ich eben beschrieben habe. Eine ernsthafte Gegenhaltung entwickelte sich, als ich mich während der Studentenzeit intensiver mit Marx beschäftigte. Dadurch wurde mir klar, dass der sogenannte real existierende Sozialismus mit den Vorstellungen von Marx nichts zu tun hatte – Aufhebung der vertikalen Arbeitsteilung, Vergesellschaftung der Produktion. Schon Anfang der Achtziger hatte ich jede Hoffnung auf tiefgreifende Veränderungen verloren. Mir war klar, dass es keinen Sinn hatte, gegen die Sowjetischen Panzer zu rebellieren. Hinzu kam die provinzielle Enge sowie die permanente Indoktrination in der DDR. Das alles hat mich schließlich außer Landes getrieben. 

Wie hat Ihr Vater darauf reagiert? War er entsetzt? 

Nein, er konnte mich verstehen. Er hatte auch ziemlich die Nase voll von der DDR.

Wieso blieb Wolfgang Ruge dann der DDR treu, bis zu ihrem Untergang? 

Ich würde den Begriff „treu“ nicht verwenden. Für ihn war Westdeutschland einfach keine Alternative. Er ist von Kind an kommunistische erzogen worden. Der sozialdemokratische Weg war für ihn nicht gangbar. Eine sozialdemokratische Regierung hatte die Münchener Räterepublik blutig niedergeschlagen. Aus seiner Sicht hatte sich die Sozialdemokratie mit dem Kapital solidarisiert und ihr Ziel aus den Augen verloren. Er war zunehmend unglücklich über die Zustände der DDR, aber weggehen? Wohin? Zumal es ihm persönlich natürlich nicht schlecht ging. Man kann ihm vorwerfen, dass er sein Wissen und seine Erfahrungen nicht öffentlich gemacht hat. Allerdings hätte dies neue Repressionen bedeutet. Was kann man von einem Menschen verlangen, der fünfzehn Jahre in Gulag und Verbannung zugebracht hat?

Geht es Ihnen auch darum, durch Ihre schriftstellerische Tätigkeit ein plumpes schwarz-weiß-Bild beim Blick auf die Geschichte der DDR zu überwinden? 

Ja, mit Sicherheit. Die DDR ist untergegangen. Ich habe diesen Staat nicht geliebt, ich trauere ihm nicht nach. Allerdings ist der heutige Blick auf die DDR bisweilen doch etwas einseitig. 

Sie waren kürzlich auf Kuba. Haben Sie sich dort, bei allen klimatischen und kulturellen Unterschieden, wie in der untergegangenen DDR gefühlt? 

Nein. Das System in Kuba unterscheidet sich doch sehr, von dem in der DDR. Einerseits ist der Lebensstandard in Kuba deutlich niedriger. Andererseits gibt es hier auch unter sozialistischen Bedingungen eine karibische Lockerheit. Fidel Castro hat irgendwo in Havanna sogar ein Denkmal für John Lennon aufstellen lassen. In der DDR wäre das nicht denkbar gewesen . Ich selbst bin wegen zu langer Haare fast von der Oberschule geflogen. 

Wie würden Sie sich heute politisch definieren. Als heimatloser Linker? 

Ich weiß nicht, ob der Begriff Links noch einen Sinn hat. Die „Linken“ – so heißt heute eine Partei. Es ist eine Partei, mit der ich wenig zu tun habe. Ich sehe mich auf der Seite derjenigen, die einen Mangel an Transparenz und Mitsprachemöglichkeiten in dieser Gesellschaft beklagen. Ich sehe mich auf Seiten derer, die nicht im Besitz der Macht und des Geldes sind. Ich sehe mich auf der Seite derjenigen, die irgendwo in China oder Indien für einen Hungerlohn schuften. Wenn Sie das Links nennen wollen, bitte.

Zur Person: Eugen Ruge ist der Sohn des DDR-Historikers Wolfgang Ruge. Im Alter von 2 Jahren siedelte er mit seinen Eltern von der Sowjetunion in die DDR  über. 2011 debütierte er als Romanautor mit „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, für den er den Deutschen Buchpreis erhielt. Im Januar 2012 hat Eugen Ruge die Memoiren seines 2006 verstorbenen Vaters herausgegeben.

Wolfgang Ruge: "Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion".Rowohlt Verlag, 496 Seiten, 24,95 Euro. ISBN: 978-3-498-05791-6.

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Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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