Kultur

„Wenn möglich, bitte umkehren“

von Matthias Dohmen · 3. Juli 2013

Fünf international bekannte Ökonomen – zwei US-Amerikaner, ein Japaner, eine indische Wirtschaftswissenschaftlerin und der Deutsche Heiner Flassbeck – legen ein Manifest vor, das sich die Verantwortlichen der EU, der USA und weiterer G-20-Mitglieder gründlich anschauen sollten. Ihr Befund: Weiterwursteln wie bisher führt irgendwann in die Katastrophe. Und: „Nur vollständig neues Denken ... kann die Wende bringen.“

Nationalökonomen und Politiker fahren derzeit auf Sicht. Nicht auf ewige Zeiten kann gut gehen, dass „große Teile der herrschenden Lehre in den Wirtschaftswissenschaften mit Modellen arbeiten, die von einem deterministischen Weltbild ausgehen, also unterstellen, die Geschichte sei im Grunde genommen vorgegeben und wir könnten nur noch an ganz kleinen Rädchen drehen, um die Dinge besser ins Lot zu bringen“, meint Paul Davidson, Emeritus an der Universität von Tennessee.

Erinnerungen an die 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts

Wie lernfähig aber sind die Frauen und Männer auf der Brücke? Predigen sie uns nicht Tag für Tag das „Weiter so“? Schon einmal, in den 1920er-Jahren, also vor der großen Weltwirtschaftskrise, der furchtbaren Massenarbeitslosigkeit und einer grenzenloser Verarmung, glaubte man, „je schrankenloser der Kapitalismus sei, um so besser würde er funktionieren“.

Halt, rufen die fünf Buchautoren. „Fiskalpolitische Austerität, Lohnsenkungen, der Fortbestand eines schrankenlosen Finanzsystems und die Verfolgung nationaler wirtschaftlicher Interessen auf Kosten anderer Länder sind nicht die angemessenen Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit.“

„Löhne runter“ zieht auch die Beschäftigung in den Keller

Die Massenarbeitslosigkeit nennt Flassbeck das vordringlichste globalwirtschaftliche Problem seit 2009. Anhand von Zahlen und Fakten weist er für die USA und für Deutschland nach, dass sinkende Arbeitskosten mitnichten eine höhere Beschäftigung zur Folge haben. Angebot und Nachfrage hätten sich längst entkoppelt. Auch die Spekulation, niedrige Lohnsteigerungen führten mittel- und erst recht langfristig zu einem Wettbewerbsvorteil, erwies sich als Rohrkrepierer. Tatsächlich nahm der europäische Binnenmarkt schweren Schaden – mit katastrophalen Folgen für die südeuropäischen Länder und für Frankreich. Das wiederum werde auf die deutsche Volkswirtschaft zurückschlagen, so Flassbeck.

Welche Schlussfolgerungen ziehen nun die internationalen Wirtschaftsweisen aus ihren Beschreibungen der Zustände? In ihrem Manifest fordern sie „eine radikal andere Wirtschaftspolitik“. Wesentlich: „Die Arbeitsmärkte der westlichen Welt müssen nicht weiter flexibilisiert, sondern auf stabile Erträge für die Menschen ausgerichtet werden.“ Flassbeck & Co. drohen mit der Radikalisierung des Volkes: „Insbesondere junge Menschen brauchen konstruktive Perspektiven für ihre Ausbildung und ihr berufliches Leben.“ Hohe Jugendarbeitslosigkeit habe hohe Frustration zur Folge „und begünstigt die Hinwendung junger Menschen zu radikalen unreflektierten Ideen, die die Demokratie gefährden können.

Ein kompetentes Gegensteuern sei gefragt: „Ein schwacher Staat kann auch diese Aufgabe nicht meistern“, urteilen die Autoren. Trübe Aus- und bemerkenswerte Einsichten. Ein Buch für Gewerkschaftsfunktionäre, Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzende: Wer die Zeichen der Zeit deuten kann, ist im Vorteil.

Heiner Flassbeck/Paul Davidson/James K. Galbright/Richard Koo/Jayati Gosh: „Handelt jetzt! das globale Manifest zur Rettung der Wirtschaft“, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2013, 215 Seiten, 17,99 Euro, ISBN 978-3-86489-034-5

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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