Kultur

„Wenn Gott schläft“: Bissige Lieder über religiösen Wahn

Weil er die Mullahs verspottete, muss er sich verstecken: Der Dokumentarfilm „Wenn Gott schläft“ stellt den aus dem Iran geflohenen Musiker Shahin Najafi vor.
von ohne Autor · 13. Oktober 2017
Filmtipp Wenn Gott schläft
Filmtipp Wenn Gott schläft

Wenn Etiketten ein Gradmesser für Prominenz sind, kann sich Shahin Najafi nicht beklagen. Die britische Times nannte ihn den „Salman Rushdie des Rap“, anderswo war vom „iranischen Eminem“ die Rede. Doch diese Bekanntheit hat der Musiker teuer erkauft. Als Teil der Untergrundszene im Gottesstaat kritisiert er in seinen Liedern soziale Missstände und geriet ins Visier der Behörden. 2005 flieht er aus dem Iran, kurze Zeit später landet er in Köln, wo er bis heute in mehreren Verstecken wohnt. Das hat seinen Grund:  Die Mullahs sprachen zwei Todesfatwas gegen ihn aus, weil er in dem satirischen Song „Naghi“ den Islam beleidigt haben soll. Der 37-Jährige lebt in ständiger Angst. Jedes Konzert könnte das letzte sein.

Zwischen Humor und Haft

Viele Elemente dieses Konflikts zwischen einem wütenden Künstler und einem ebenso scheinheiligen wie brutalen Regime erinnert an aktuelle weltpolitische Konfliktlagen. Regisseur und Drehbuchautor Till Schauder widmet sich allerdings weniger der großen Politik. Er stellt den Alltag und die widersprüchliche Persönlichkeit von Shanin Najafi in den Vordergrund. Den wurmt vor allem, sich nicht wegen seiner Lieder, die irgendwo zwischen Hip-Hop, Punk und Singer-Songwriter pendeln, sondern wegen seines erzwungenen Exils und der propagandistischen Salven aus Teheran einen Namen gemacht zu haben.

Vor allem aber zeigt Schauder, unter anderem bekannt geworden mit dem Dokumentarfilm „The Iran Job“, den Menschen und seine künstlerische Entwicklung jenseits der klischeehaften Zuschreibungen von außen. Und zwar in all seinen Extremen. Man erlebt einen ebenso humorvollen wie vor Energie strotzenden Musiker, der sich nichts sehnlicher wünscht als auf der Bühne zu stehen und über seinen künstlerischen Ausdruck mit anderen Menschen zu kommunizieren. Man hat Teil an seiner Sorge über Familienmitglieder, Freunde und Fans im Iran. Wer sich dort das rund 1,7 Millionen Mal angeklickte Video zu „Naghi“ anschaut – gezeigt wird eine Moscheekuppel, die auffällig einer weiblichen Brust ähnelt und die eine Regenbogenfahne ziert – muss damit rechnen, verhaftet zu werden. Während der Auftritte unter Polizeischutz entladen sich auf und vor der Bühne, wo nicht zuletzt viele Exil-Iraner und Geflüchtete zu sehen sind, aufgestaute Leidenschaften. Diese Energie steckt an.

„Wenn es einen Gott gibt, dann schläft er“

Zu erleben sind aber auch Momente der Niedergeschlagenheit, die vor allem dann zutage tritt, wenn Najafi deutlich wird, mit welcher Bürde er und jene leben, die ihn unterstützen. Sei es als Livemusiker in Konzertsälen oder als Lebenspartnerin. So ein Leben hinterlässt Spuren. Erahnen können die Zuschauer dies gerade in den Momenten, wenn der Protagonist den anderen mit seiner fordernden, wenn nicht gar missionarischen Art auf die Nerven geht. Als nach der zweiten Fatwa einige seiner Musikerkollegen von Bord gehen und ihn kaum noch ein Konzertveranstalter bucht, scheint er vor dem Nichts zu stehen. Der Film bekommt nun eine deutlich bedrohlichere Note. Seitdem die Verfolger auch noch seinen Instagram-Account gehackt haben, kann sich Najafi nirgendwo mehr sicher fühlen.

Es ist erstaunlich, wie nahe der Filmemacher seinem Protagonisten während der über mehrere Jahre verteilten Dreharbeiten gekommen ist. So entstand ein eindringliches Bild von einer getriebenen Existenz, in der sich alles darum dreht, einen Platz im Leben zu finden. Zumal dieser Weg für den Sohn aus der Mittelschicht alles andere als vorgezeichnet war. In jungen Jahren wollte Najafi Geistlicher werden. Also zu jener Szene gehören, die ihm heute per Internetvideos wüste Todesdrohungen und andere Hetzereien schickt. Auch diese werden übrigens fleißig geklickt. Doch je älter er wurde, desto absurder erschien ihm diese Vorstellung. Die intensive Beschäftigung mit der Religion hat er keinesfalls aufgegeben, dem beißenden Spott über den iranischen Klerus zum Trotz. „Wenn es einen Gott gibt, dann schläft er“, lautet sein Fazit. So erzählt dieser Film auch davon, wie Najafi darum kämpft, den Glauben an das Gute nicht zu verlieren.

Info: „Wenn Gott schläft“ (Deutschland 2017), ein Film von Till Schauder, mit Shahin Najafi u.a., 88 Minuten, OmU

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