Männer sind romantischer als Frauen. Wer's noch nicht wusste, kann's auf dem Münchener Filmfest lernen. Da läuft die US-Indie-Produktion "Blue Valentine", ein Ehedrama. Er (Ryan Gosling) hockt nach getaner Arbeit mit einem Kumpel zusammen, raucht und erklärt: "Männer wollen eigentlich gar nicht heiraten. Aber dann begegnen sie einer, von der kommen sie nicht mehr los. Mit der wollen sie dann zusammen sein. Frauen wollen schon immer heiraten. Und wenn sie glauben, dass die Zeit dafür gekommen ist, dann nehmen sie den Besten, den sie gerade kriegen können. Einen mit einem guten Job, der den ganzen Tag zuhause ist."
Vom Zerbrechen einer Ehe
Er hat keinen guten Job. An seinen Händen klebt Farbe, er ist Anstreicher. Früher hat er Möbel transportiert. Das reicht ihr (Michelle Williams) nicht. Nicht mehr. Einmal war er der Beste, den sie kriegen konnte. Jetzt ist er nur Vater, nur Ehemann. Einer, der sich am Morgen schon betrinken muss, damit er die schäbige Arbeit erträgt, sagt sie. Einer, der das Privileg hat, bei seiner Arbeit trinken zu können, sagt er.
"Blue Valentine" ist einer der besten Filme, die an den ersten Festivaltagen in München zu sehen waren. Was in der Beschreibung klingt wie "Szenen einer Ehe" ist kein dröges Dialogkino, kein aufgesetzter Gute-Laune-Streifen wie ihn das US-Independet-Kino ständig produziert, sondern es ist eine Geschichte, in der man alle Figuren verstehen kann, in der man für alle Sympathien hat und die doch ein trauriges Ende nimmt.
Eine Ehe zerbricht zum Carole-King-ähnlichen Funk-Sound von Penny & The Quarters: "You & Me". Die Aufnahme stammt aus den 70er Jahren, so genau weiß man das aber nicht. Sie war lange verschollen und wurde erst 2006 wieder entdeckt. Ungefähr das wünschen sich die Filmfest-Macher in München für eine Reihe der Filme, die in diesem Jahr an die Isar eingeladen wurden. Sie mögen entdeckt werden.
Neues von Luc und Jean-Pierre Dardenne
Nicht nötig hat das "Der Junge mit dem Fahrrad". Die Cannes-Musterschüler Luc und Jean-Pierre Dardenne haben von der Côte d'Azur schon den Großen Preis der Jury mitgenommen und als Eröffnungsfilm in München ein bisschen vom Autorenkino-Flair der Promenade de la Croisette mitgebracht. Es muss nicht immer ein Schiff auf einen Eisberg laufen, von dem computeranimierte Passagiere ins Wasser purzeln und es müssen nicht die versammelten Völker von Mittelerde auf den Rücken von Säbelzahntigern reitend aufeinander losgehen.
Manchmal reicht es, wenn ein Kind um die Gunst seines Vaters kämpft, um das Kino-Publikum zu faszinieren. Ein Junge, der trotzig den Wasserhahn aufdreht, wenn man ihm befiehlt, keinen Tropfen mehr zu verschwenden und der immer wieder aufsteht, wenn er vom Baum gestürzt ist oder wenn man ihn zusammen geschlagen hat.
Vom Kino aus Fernost
Der zweite prominente Beitrag auf dem Filmfest stammt von Kim Ki-duk. Der Weltregisseur aus Südkorea führt die Reihe "Fokus Fernost" an und gibt mit seinem Beitrag "Arirang" ein erstes Lebenszeichen. Stumm war es geworden um den Superstar des Fernost-Kinos. Seine Dokumentation erklärt, warum. Sie zeigt den zweifelnden Filmemacher beim Holz hacken, beim Kastanien schälen und wie er seine Notdurft im Schnee verscharrt. Ki-duk zeltet in einer Hütte, weil Bretter die Kälte nicht abhalten, er führt Selbstgespräche und macht seinen Schatten zum Fragesteller. Seit 2008 hat er sich zurückgezogen, zelebriert seine Schaffenskrise. Klagt über Mitstreiter, die ihn verlassen haben, während an den Wänden Filmposter hängen.
Die Trophäen seiner Arbeit sind aufgereiht, der selbstverliebte Regisseur bricht in Tränen aus, wenn er auf dem Computerbildschirm eine Szene aus seinem eigenen Film ansieht. Es gibt Espresso aus Schneewasser und erbitterte Seitenhiebe auf das koreanische Kino, das so viel Erfolg hat mit seinen Action-Filmen, mit blutigen Äxten und Massakern.
Und genau diesem Teil des asiatischen Kinos gibt das Münchener Filmfest Raum: "The Yellow Sea" oder "Geständnisse" heißen die Filme. Während in ersterem Gangsterbosse im Grenzland zwischen China und Korea einander abschlachten, geht es in letzterem Thriller subtiler zu. Respektlose Schüler werfen mit Trinkpäckchen um sich, wie man es sich von japanischen Jugendlichen gar nicht vorstellen kann.
Diese Kinder mit ihren Schuluniformen, ihren V-Kragen-Pullovern, ihren Krawatten und ihrem gescheitelten Haar haben die Tochter der Lehrerin ermordet. In Rückblenden und comicartigen Bildern von weißer Milch, die sich über den Fußboden des Klassenraums ausbreitet, setzt sich die Geschichte zusammen. Zeitlupen geben Szenen und Gesten Gewicht, machen sie bedeutsam. Der Schülermord ist aber nur der Ausgangspunkt für ein Schlachtfest der Rache, in dem Regisseur Tetsuya Nakashima nach und nach alle, Mütter, Lehrer und Kinder zu Mördern werden lässt, die sich in ihrer Niedertracht überbieten. Das Gemetzel im kalt-bläulichen Licht untermalt die zittrige Stimme von Radiohead-Sänger Thom Yorke. Wir verstehen: Rache ist ein Gericht, das man am liebsten kalt serviert.
Vom Versuch, den Täter zu verstehen
Kalt, teilnahmslos, steif inszeniert auch Markus Schleinzer. "Michael" ist der Titel seines ersten eigenen Films. Michael (Michael Fuith), die Hauptfigur, ist ein gefühlloser Mann, der einen zehnjährigen Jungen entführt, einsperrt und vergewaltigt. Vielleicht ist Michael aber auch eine Chiffre, ein Hinweis auf das besonders Deutsche an diesem Täter und an dieser Tat, auch wenn die Vorlage, der Fall Kampusch, sich in Österreich ereignete.
Michael ist ein Pedant mit dem Hemdkragen im Pullover, der sorgsam Untersetzer unter die Gläser schiebt, der mit dem entführten Jungen im Zoo Händchen hält und der sich die Hände wäscht, immer wieder die Hände wäscht. Er ist aber auch das Monster, das beim Abendbrot am Tisch aufsteht, die Hose aufknöpft, das Küchenmesser in die Hand nimmt und sagt: "Hier ist das Messer und hier ist mein Schwanz, was soll ich dir reinstecken?" "Das Messer", sagt der Junge ungerührt und beißt von seinem Butterbrot ab. Die beiden haben sich arrangiert.
Es gibt keine Angst, keinen sichtbaren Hass, nur die seltenen Tränen des Jungen, wenn er ein Flugblatt sieht, mit dem Nachbarn nach ihrer Katze suchen, die plötzlich verschwunden ist. "Michael" ist ein Täter-Film, der seinen Hauptdarsteller verstehen will, der ihn aber auch ausstellt, ihn in seiner Jämmerlichkeit zeigt, wenn er den Reißverschluss zuzieht und sein Abendessen fortsetzt. Am Schluss steht ein Offenes Ende, eine Beerdigung und ein Bibelzitat: "Ich habe dich so sehr geliebt, da habe ich dich zu mir genommen."