Kultur

Weimarer Republik: Auf dem Weg in den Abgrund

In ihrem Buch „Die Totengräber – Der letzte Winter der Weimarer Republik“ rekonstruieren die Journalisten Rüdiger Barth und Hauke Friederichs den Niedergang der ersten deutschen Demokratie aus Berichten von Zeitzeugen.
von Renate Faerber-Husemann · 7. Juni 2018
Adolf Hitler
Adolf Hitler

Am 30. Janaur 1933, dem Tag, an dem die erste deutsche Demokratie endete, war im „vorwärts“ zu lesen: „Gegenüber dieser Regierung der Staatsstreichdrohnung stellt sich die Sozialdemokratie und die ganze Eiserne Front mit beiden Füßen auf den Boden der Verfassung und der Gesetzlichkeit.“

Doch es war zu spät. An diesem Tag wurde Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Es war das Ende der Weimarer Republik – und der Beginn eines Leidenswegs für Millionen Menschen, weit über Deutschland und Europa hinaus.

Neuwahlen, Notverordnungen, Straßenkämpfe

Der 2006 verstorbene SPD-Politiker und Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Holger Börner, hat die Weimarer Repulik einmal eine „Demokratie ohne Demokraten“ genannt. Wer das Buch „Die Totengräber – Der letzte Winter der Weimarer Republik“ liest, wird diese Einschätzung teilen.

Die beiden Journalisten Rüdiger Barth und Hauke Friederichs haben, beginnend mit dem 17. November 1932, endend mit dem 30. Januar 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, Tag für Tag beschrieben, wie das Unfassbare geschehen konnte. Ihre Quellen sind Zeitungen, Briefe, Tagebücher, Akten. Das alles ist spannend zu lesen, doch es fehlt leider immer wieder an kommentierender Einordnung für all jene Leser, die nicht zu Hause sind in der chaotischen Geschichte der Weimarer Demokratie.

Das war damals die Lage: Viele Menschen hungerten. Knapp sechs Millionen Arbeitslose, deren Arbeitslosengeld nicht zum Überleben reichte, wurden gezählt. Nicht nur die direkt von der Weltwirtschaftskrise Betroffenen hatten die Nase voll von ständigen Neuwahlen, Notverordnungen, Straßenkämpfen, Demonstrationen. Die Politiker agierten hilflos. Sozialdemokraten und Kommunisten bekämpften sich gegenseitig, statt ihre Kräfte gegen die Nazis zu bündeln. In dieser Situation lieferte der greise, 84-jährige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der eigentlich von einer Erneuerung der Monarchie träumte, das Land den pöbelnden Braunhemden aus. Hitler kam ja nicht durch einen Putsch an die Macht, auch nicht durch Wahlen, sondern wurde vom obersten Repräsentanten des Landes zum Reichskanzler ernannt.

„Ich darf kein Menschenleben an mich binden“

Zu denjenigen, die sich keinerlei Illusionen darüber machten, wohin die Reise gehen würde, nämlich in den Abgrund, gehörte der junge SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher, Chef der Stuttgarter SPD und nach dem Krieg erster Vorsitzender der Gesamtpartei: In einer Reichstagsrede hatte der die Agitation der NSDAP „einen Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“ genannt. Nicht nur dafür hassen ihn die Nazis.

Die beiden Autoren schreiben, selbst in Stuttgart könne er sich nicht mehr ohne Leibwächter des Reichsbanners bewegen.

Seine Genossen treffe er nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern in Privatwohnungen. Er ahnte wohl, was kommen würde. Als seine Verlobte Maria Seibold an Weihnachten 1932 vom Heiraten sprach, war seine Antwort: „Ich darf jetzt kein anderes Menschenleben an mich binden. Die Nazis müssen jetzt zur Macht kommen oder gar nicht. Ich weiß nicht, was sie tun werden. Was immer siemit mir tun, wenn sie mich kriegen, damit habe ich abgeschlossen, aber ich will nicht, dass sie Dir etwas tun.“ Der unbeugsame Sozialdemokrat verbrachte die meiste Zeit der zwölf Jahre des Hitler-Regimes in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Er überlebte als schwerkranker, aber geistig ungebrochener Mann. Mit erst 56 Jahren starb er 1952 in Bonn an den Folgen der Torturen.

Enttäuschte Hoffnung

Zur Jahreswende 1932/1933 herrschte – nachzulesen vor allem in der bürgerlichen Presse – die Hoffnung, für die NSDAP könnte es nun nur noch bergab gehen.

Die „Frankfurter Zeitung“ schrieb beispielsweise am 1. Januar: „Der gewaltige nationalsozialistische Angriff auf den demokratischen Staat ist abgeschlagen.“ In der Redaktion des „vorwärts“ dagegen hielt man das für Träumerei: „Neues Jahr – neuer Kampf!“ lautete der Titel. Und weiter im Pathos der damaligen Zeit: „Ein schweres Jahr liegt hinter uns. Ein nicht minder schweres steht vor uns. Um es wiederum zu bestehen, muss die der stärksten Arbeiterpartei Deutschlands zur höchsten Vollendung gebracht werden.“

Ist man nach der Lektüre des Buches schlauer, warum Hitlers Aufstieg nicht verhindert wurde? Eher nicht. Aber es ist ein auf interessante Weise aus Zeitungsartikeln, Briefen, Tagebüchern, Reden montiertes Stück Geschichte. Was bleibt, ist die resignierte Gewissheit, dass der Ausspruch von Holger Börner über die „Demokratie ohne Demokraten" zutrifft.

Rüdiger Barth und Hauke Friederichs: „Die Totengräber“, S. Fischer Verlag, 416 Seiten, 24 Euro.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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