Kultur

Was von acht wilden Jahren blieb

von Die Redaktion · 19. Juni 2006
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Hierarchien waren nicht gefragt und alles sollte gemeinsam gemacht werden, als vor dreißig Jahren die Nullnummer der Frauenzeitschrift "Courage" bei Frauen in Deutschland und darüber hinaus Aufmerksamkeit erregte.

Gisela Notz vom Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung lud aus Anlass des Jahrestages am 17. Juni 2006 unter dem vielschichtigen Motto "Als die Frauenbewegung noch Courage hatte …" in die Hiroshimastraße in Berlin ein und um die 100 Frauen trafen ein und brachten etwas von der Atmosphäre acht intensiv gelebter Jahre mit beziehungsweise zehrten davon.

Das Du herrschte bei dieser Begegnung unter den Frauen vor.

Damals vor 30 Jahren hatten Wissenschaftlerinnen und allgemein Frauenbewegte, zunächst ohne Geld dafür zu erhalten, mit der Arbeit begonnen. Journalistische Profession der ihnen zuarbeitenden Autorinnen stand zunächst nicht im Mittelpunkt, sondern die Idee, dass jede Frau etwas mitzuteilen habe und dementsprechend schreiben könne.

In der Praxis führte das zu "Tonnen von Gedichten", die oft nicht gedruckt werden konnten, da die Diskrepanz zwischen Wollen und Können häufig zu groß war. Insgesamt jedoch war zu verzeichnen, dass ein äußerst lebendiger Zugriff auf die gesellschaftliche Realität gegeben war.

Die vielen Einsendungen berichteten von den Problemen des deutschen und internationalen Frauenalltags. Es gab Zuschriften aus aller Welt, aus Ost-Europa, auch aus der DDR. Private Freundschaften und Bekanntschaften halfen, solche Vielfalt zu ermöglichen und Briefe hin- und herzuschmuggeln.

"Das Private ist politisch"

Privates und Gesellschaftliches wurde nicht getrennt voneinander gesehen.

Auf dieser Basis war es möglich gelebte Herrschaftsstrukturen transparent werden zu lassen und für neue Lebensformen einzutreten.

Christa Wichterich (heute bei Attac) , ermöglichte das Lesen der "Courage", als sie eine Zeit in Indien lebte, sich umfassend über die Positionen der Frauenbewegung zu informieren und damit auch selbst daran teilzuhaben. Ihr gefiel besonders die Meinungsvielfalt.

Die Gestaltung des Arbeitsalltags der Blattmacherinnen richtete sich daran aus, dass widerstreitende Frauenpositionen in der Zeitschrift ihren Niederschlag finden sollten.

Alle eintreffenden Briefe wurden deshalb zu Beginn des Arbeitstages gemeinsam gelesen und diskutiert. Zu Themen der einzelnen Blätter wurden die geschlagen, zu denen es intern eher Dissens als Konsens gab. Auf diese Weise waren tatsächlich alle beteiligt und es entstanden spannende Blätter, die keinem Mainstream verpflichtet waren.

Den Gründerinnen wurde allerdings die Zeitungsarbeit zum eigentlichen Leben, neben dem kaum noch etwas anderes existierte. Eigene Kinder waren damit kaum zu vereinbaren.

Die Zeitschrift brachte es - von vielen Frauen begeistert aufgenommen - rasch auf 70.000 Exemplare. Gemeinsam mit Leserinnen und Autorinnen gefeierte Feste halfen dank gezahltem Eintritt und Spenden vieler Frauen, die Finanzierung voranzubringen.

Nach Stabilisierung der Gewinne zahlten sich die Mitarbeitenden jeweils 1000 Mark plus Lebenshaltungskosten für Miete und Auto. Spezialisierung hielt entgegen der ursprünglichen universellen Ausrichtung aller in kleinerem Maße Eingang ins Blatt. Es gab zwei Layouterinnen. Die Hefte waren keine Bleiwüsten mehr. Aber es gab auch wirtschaftliche Fehlentscheidungen, zum Beispiel in Zusammenhang mit der Herausgabe eines Frauenadressbuchs.

Bald begann sich der Niedergang abzuzeichnen und den Frauen fiel kein anderes Gegenkonzept als noch härtere Arbeit ein. Jede Woche statt jeden Monat brachten sie das Blatt auf den Markt. Es half nicht. Im Gegenteil.

War es nur die äußere Konkurrenz oder war es auch das Nicht-Wahrhaben-Wollen der Konflikte im Inneren, die den Konkurs mit auslösten? Später zur Zeitschrift Dazustoßende fühlten sich überfordert von der Maßgabe, dass Frauen alles könnten, wenn sie nur wollten.

Nicht von Anfang an dabeigewesen zu sein hieß schließlich, nicht über alle Informationen zu verfügen und dennoch sofort voll einsatzbereit sein zu müssen. Auch Diskrepanzen zwischen großer Arbeitsintensität und kleinem Entgelt begannen sich bemerkbar zu machen, wenn es auch jede als Ehre ansah, eine "Courage-Frau" zu sein.

Streitbar und authentisch

Und: Was hatte die Zeitschrift langfristig bei ihren Leserinnen und in der Gesellschaft bewirken können? Welche Bilanz ist im Nachhinein zu ziehen?

Es war etwas Besonderes um diese streitbare und authentische Zeitschrift.

Der Feminismus präsentierte sich hier keineswegs als reine Frauensache, sondern als streitbares Konzept für einen von Männern und Frauen gemeinsam zu lebenden, neuen Entwurf von Gesellschaft.

Forderungen der Frauenbewegung von damals seien von anderen aufgenommen worden. Die äußere Welt habe sich verändert (Wegfall des Ost-West-Gegensatzes, Große Koalition, CDU-Kanzlerin, geschärftes Bewusstsein für Problemlagen von Frauen wie zum Beispiel die Zwangsprostitution, etc.), wurde konstatiert. Die sozialen Spannungen allerdings seien heute weit stärker als damals.

Und: Die wirtschaftlichen Probleme ebenso wie die Bürokratisierung des Gendering, der Forderungen nach einem gleichberechtigten Miteinander der Geschlechter, ließen einen Start wie damals, der nur nach der Richtigkeit der Idee nicht aber gleich auch nach der Finanzierung fragte, kaum noch zu.

Die alte, kreative und produktive Streitbarkeit zeigte sich auch im Jahre 2006.

Etwa, als der Eingangsvortrag der Historikerin Ursula Nienhaus diskutiert wurde: Stand an den Anfängen westlicher Frauenbewegung ein Miteinander von Frauen in Ost und West? Ist dies damit zu beweisen, dass im Osten/in der DDR sozialisierte Frauen Anteil an der Entstehung des Blattes hatten? Im Vortrag wurde auf entsprechende Forschungsarbeit im Ausland verwiesen und auf die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema auch im eigenen Lande.

Den jungen Frauen von heute könne man ihre gefühlte Gleichberechtigung nicht vorwerfen, hieß es abschließend bei Christine Türmer-Rohr. Von dafür bezahlten Frauen in der Wissenschaft allerdings sollte gute Arbeit zu verlangen sein. Und sie verwies auf die Gefahr von Illusionen, die ein Wir-Gefühl stets mit sich bringe. Die Frage, was sich mit dem Wir in der Frauenbewegung inhaltlich und strategisch verband, löste dann auch gleich noch einmal eine intensive Debatte aus, die in die Frage, was dem Geist und der Notwendigkeit der jetzigen Zeit entspreche, mündete. Soziale Probleme und Fragen der Einbeziehung von Migrantinnen in den Wissenschaftsbetrieb wurden angesprochen.

Dorle Gelbhaar

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