Die österreichische Historikerin Gabriele Anderl hat den beachtenswerten Versuch unternommen, die Biografie einer, wie sie in der Einleitung schreibt, „schillernden, streitbaren und zugleich umstrittenen Persönlichkeit“ zu schreiben: Dem jüdischen Bankier Berthold Storfer, der im Auftrag von Adolf Eichmanns „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ tätig war, verdanken Tausende Juden ihre Leben.
1880 in Czernowitz geborene Storfer avancierte „zur zentralen Figur für die illegale Einwanderung von Juden aus dem gesamten Deutschen Reich nach Palästina“, schreibt Arno Lustiger. Der Historiker und Holocaust-Überlebende hat das Vorwort zu Anderls Buch geschrieben. Storfer bezeichnet er als einen „bisher kaum bekannten, aber dennoch sehr bedeutenden“ Menschen.
Berthold Storfer war Jude, konvertierte zum Protestantismus, von dem er sich aber wieder abwandte. Von da an erklärte er, er sei mosaischen Glaubens. 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland enteigneten die Nationalsozialisten das Finanzinstitut des Bankiers Storfer. Er blieb in Wien und übernahm die Leitung des „Ausschusses für jüdische Überseetransporte“. Dieser war direkt Eichmanns „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ unterstellt und sollte den Transport jüdische Bürger aus dem „Altreich“, aus Danzig, dem Protektorat Böhmen und Mähren sowie aus Österreich in das britische Mandatsgebiet Palästina organisieren.
Von der Vertreibung zur Vernichtung
Storfer organisierte die Flucht Tausender Juden nach Palästina. Das lief nicht ohne Konflikte ab: Der Mossad, der zur zionistischen Arbeiterbewegung gehörte, und die mit ihm verbundene Pionierorganisation Hechaluz beabsichtigten, „in erster Linie junge, gesunde und ideologisch geschulte Personen, die auch ein brauchbares militärisches Potenzial darstellen würden“, nach Palästina holen. Die Nazis wollten ältere und gebrechliche Jüdinnen und Juden wirtschaftlich auspressen und anschließend loswerden. Das war, bevor sie zur systematischen Vernichtung „nicht-arischen“ Lebens übergingen.
Stichtag des Strategiewechsels ist der 23. Oktober 1941. An diesem Datum verfügte Heinrich Himmler, die jüdische Emigration zu stoppen. Von da an setzten die nationalsozialistischen Machthaber nur noch auf Massenmord. Für einen „Vermittler“ wie Storfer war kein Platz mehr. Ihm wurde mitgeteilt, dass er seinen „Wohnsitz“ nach Theresienstadt zu verlegen habe. Daraufhin setzte Storfer sich am 2. September 1943 ab, wurde allerdings knapp eine Woche nach seiner Flucht gefasst und nach Auschwitz deportiert.
Mit Eichmann in Auschwitz
Es gelang ihm, Eichmann zu einem Zusammentreffen im Konzentrationslager zu bewegen. Darüber berichtete der 1962 hingerichtete SS-Obersturmbannführer Eichmann in seinem Prozess in Israel: „Ich habe gesagt: ‚Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt?‘, und habe ihm auch gesagt: ‚Schauen Sie, ich kann Ihnen gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers SS kann keiner Sie herausnehmen.“ Knapp eine Woche später wurde Storfer im Konzentrationslager erschossen.
Er konnte sich selbst nicht vor den nationalsozialistischen Mördern retten. Doch zwei Drittel der auf etwa 200.000 geschätzten österreichischen Juden gelang es zu fliehen, oft mit Storfers Hilfe. Verdienstvoll, dass sein Wirken jetzt in einer Biographie geschildert wird, der ein Anmerkungsapparat, eine Liste weiterführender Literatur und ein Personenregister beigegeben sind.
Gabriele Anderl: „’9096 Leben’. Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer“ Mit einem Vorwort von Arno Lustiger, Rotbuch Verlag , Berlin 2012, 400 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-86789-156-1
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.