Kultur

Warum viele Synagogen nach dem Krieg zerstört wurden

Sie wurden zu Pferdeställen, Feuerwehrhäusern, Kirchen und Parkplätzen: Hunderte Synagogen haben Pogrome und Krieg der Nazis überstanden – nicht aber die Bauwut im Nachkriegsdeutschland.
von Fabian Goldmann · 14. August 2020
Erinnerung an frühere Zeiten: Die Synagoge in Gunzenhausen wurde 1981 für eine Tiefgarage abgerisssen
Erinnerung an frühere Zeiten: Die Synagoge in Gunzenhausen wurde 1981 für eine Tiefgarage abgerisssen

Warum die kleine Synagoge die Novemberpogrome der Nazis überstand, weiß keiner so genau. Vielleicht hatten die Truppen der SA Sorge, der Brand könnte auf Nachbargebäude überspringen. Vielleicht war der schlichte Fachwerkbau für die gerade einmal ach jüdischen Familien des Ortes, auch einfach zu unbedeutend. Übrig blieb von der kleinen Synagoge im hessischen Wohra dennoch nicht viel. Nach dem Krieg funktionierten Nachbarn das leerstehende Gebäude zur Abstellkammer um. In den 80ern konnte oder wollte sich kein Bewohner mehr an die jüdische Geschichte des Gebäudes erinnern.

Synagogen wurden zu Ställen und Lagern

Mit diesem Schicksal ist die Synagoge von Wohra nicht allein. Hunderte jüdische Gotteshäuser in Deutschland hatten Pogrome und Krieg überlebt, nicht aber die Bauwut im Nachkriegsdeutschland. Viele Synagogen wurden zu Pferdeställen, Warenlagern, Geräteschuppen, Scheunen oder Feuerwehrhäuser. Andere wurden von lokalen Kirchengemeinden übernommen. Weit über 100 wurden ganz abgerissen – um Platz für Büros oder Parkplätze zu machen.

Auch die Synagoge im baden-württembergischen Rexingen ist so eine. Anfang des 18. Jahrhunderts gebaut, diente das Gebäude während des Kriegs als Lager einer örtlichen Waffenfabrik, bevor sie 1952 zur Kirche umgeweiht wurde. Auch die 1843 im hessischen Gudensberg überstand die Nazi-Zeit. Um Lastenaufzug, Garagentore und Zwischendecke erweitert, diente sie nach dem Krieg als Lagerhalle und Garage. Die 1810 gebaute Synagoge im niedersächsischen Dransfeld wurde nach 1945 mal als Turnhalle, Proviantdepot und Suppenküche genutzt. In den 1950ern zog die katholische Gemeinde des Ortes ein, später errichte ein Schreiner in ihr seine Werkstatt.

Kaum Rücksicht auf das jüdische Erbe

Dass viele solcher Geschichte heute überhaupt bekannt sind, ist das Verdienst von Menschen wie Thea Altaras. Die jüdische Architektin gehörte zu den ersten und engagiertesten Personen, die sich nach 1945 mit der Geschichte jüdischer Orte in Deutschland beschäftige. In ihrem erstmals 1988 aufgelegten und später mehrmals aktualisierten Buch  „Synagogen in Hessen – Was geschah seit 1945?“ rekonstruiert sie, wie vielfältig jüdisches Gemeindeleben einmal war – und wie rücksichtslos mit diesem Erbe im Nachkriegsdeutschland umgegangen wurde.

So hatten allein in Hessen 223 von 363 Synagogen-Gebäuden die Nazi-Zeit überstanden. 59 von ihnen wurden erst nach dem Krieg abgerissen. Die meisten anderen verfielen oder wurden zweckentfremdet. Rücksicht auf das jüdische Erbe der Gebäude nahm man dabei nur selten. Von einer Zerstörung „erschreckender Dimension“, schreibt die 2004 verstorbene Altaras. Bei Umbauarbeiten sei „hauptsächlich auf eine schnelle Beseitigung jeglicher baulicher Merkmale des einst jüdischen Kultbaus Wert gelegt wurde, wobei die neue Nutzung des Gebäudes zweitrangig war.“

Tiefgarage statt Synagoge

Nach Altaras' Vorbild sind in den letzten Jahren auch ähnliche Untersuchungen für andere Bundesländer erschienen. Sie alle zeigen: Die Ignoranz gegenüber jüdischem Kulturguts war kein Phänomen, das sich auf die Nachkriegswirren von DDR und Bundesrepublik beschränkte: Die Synagoge im hessischen Holzheim wurde erst 1963 abgerissen. Das Anbringen einer Gedenktafel lehnten Anwohner*innen mit der Begründung ab, im Ort habe es keine Antisemiten gegeben.

In Großen-Linden bei Gießen stand noch bis in die 1970er ein Synagogengebäude. 1974 wurde es abgerissen, um Platz für einen asphaltierten Hof zu machen. Die 1883 mit zwei einmaligen Zwiebeltürmen gebaute Synagoge im bayerischen Gunzenhausen überlebte bis 1981. Nachdem sie jahrzehntelang als Kaufhaus und Werkhalle diente, wurde auch sie abgerissen. An ihrer Stelle befindet sich heute der Eingang zu einer Tiefgarage. Nachdem man es jahrzehntelang verfallen gelassen hatte, wurde ein kleines Synagogengebäude im thüringischen Hildburghausen sogar noch im Jahr 2005 Opfer der Abrissbagger – trotz bestehenden Denkmalschutzes.

Engagierte Bürger*innen retten Synagogen

Dass einige Gebäude vor diesem Schicksal bewahrt werden konnten, ist häufig nicht offizieller Geschichtspolitik oder behördlichem Denkmalschutz, sondern der Initiative von engagierten Einzelpersonen und Gruppen verdanken. Wie im rheinland-pfälzischen Ahrweiler. Dort diente die 1894 errichtete Synagoge nach 1945 als Lager für Düngemittel und landwirtschaflicher Geräteschuppen, bis 1976 eine Gruppe Schüler Druck auf die Stadtverwaltung ausübte, die jüdische Geschichte des Gebäudes zu bewahren. Nach umfassenden Renovierungen beinhaltet das Gebäude heute eine Dauerausstellung zur Geschichte der jüdischen Gemeinde des Ortes. Tausende andere Spuren jüdischen Lebens in Deutschland sind Dank Projekten wie „Alemannia Judaica“ oder „Jewish Places“ zumindest virtuell bewahrt.

In einigen wenigen Fällen beten sogar wieder Juden in längst verloren geglaubten Synagogen. Die kleine Synagoge von Wohra ist so ein Fall – auch wenn diese heute ganz woanders steht. 1995 ließ Thea Altaras das Gebäude ab- und rund 50 Kilometer weiter südlich wieder aufbauen. In dem kleinen Fachwerkbau trifft sich heute die jüdische Gemeinde Gießens.

Schlagwörter
Autor*in
Fabian Goldmann

ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Auf seinem Blog schantall-und-scharia.de schreibt er über Islamophobie in Deutschland.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare